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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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diese Freiheit zu fördern
    und ihr einen Weg in das Staatsleben zu bahnen, daß sie in
    ihrer Schönheit erblühe. Wie lange es bis dahin dauern wird,
    weiß ich nicht. Die meisten derer, die jetzt nach Freiheit
    rufen, sind noch in den Banden ihrer Gier nach Herrlichkeit,
    Nutzen und Gewalt und sind gegen die Unterdrückung Un-
    terdrücker, wie der Dichter vor langem gesagt hat: ‚Um den
    Vorteil der Herrschaft stritt ein verderbtes Geschlecht, nicht
    würdig, das Gute zu schaffen.‘ Bei uns tut es not, daß das
    Reich nicht wanke, und wenn es fest steht, dann mögen in
    ihm die rechten Männer den Pfad der Freiheit suchen und
    wir vorerst dazu die rechten Männer finden. Weil ich aber
    in den Rat nicht tauge, gehe ich zu dem Feldherrn, der jetzt
    das Reich vertritt, und diene ihm. Ich werde ohne Abschied
    von hier fortgehen, und einmal nach einer finsteren Nacht
    nicht mehr da sein. Der Herr Verwalter wird zum Öffnen
    des Pförtchens die Stunde wissen und sie nicht verraten.“
    „Nein, nein, das darf nicht sein,“ rief die Base, „du mußt
    Lebewohl sagen.“
    „Das führt zu Weitläufigkeiten oder Rührungen und
    Störungen,“ sagte ich, „so etwas muß frisch getan sein,
    und einmal komme ich und sage: ich bin da. Endlich kann
    mich zu einem Abschiede niemand zwingen, wenn ich kei-
    nen nehme.“
    Man stritt noch mit halbem Willen fort und gab es mit
    halbem Willen zu.
    Dann kam das Gespräch erst recht auf meine Worte
    und wurde mit Lebendigkeit über Freiheit, Staatswohl,
    Volksvertretung, Regierungsart und derlei Dinge geführt.
    Alle beteiligten sich daran, nur Hiltiburg nicht.
    Wir gingen spät in der Nacht auseinander.
    Ich machte nun bald Anstalten zur Abreise.
    Ich sagte am Abende vor der dazu bestimmten Nacht
    dem Verwalter die Stunde, in der er mir die Pforte offen
    halten sollte. Christoph trug zu dieser Stunde meinen
    Mantelsack hinab, um ihn auf das Bauerwägelchen zu la-
    den, das ich vor das Schloß bestellt hatte. Ich folgte ihm
    dann. Ich ging mit unhörbaren Schritten, daß ich niemand
    erwecke, über den finsteren Gang. Da streifte etwas an
    mich wie ein Frauenkleid, zwei weibliche Arme umschlan-
    gen mich, und plötzlich fühlte ich einen Kuß auf meinen
    Lippen. Dieser Kuß war so süß und glühend, daß mein
    ganzes Leben dadurch erschüttert wurde. Die Gestalt wich
    in die Finsternis zurück, ich wußte nicht, wie mir war, und
    eilte auf dem Gange fort, über die Treppe hinab, durch das
    geöffnete Pförtchen hinaus, auf dem Wagen zur Post, auf
    dem Postwagen in der Richtung nach meinem Reiseziele
    dahin und konnte den Kuß nicht aus dem Haupte bringen.
    Ich bin später bei Wachtfeuern gewesen, auf der Vorwacht
    in der Finsternis der Nacht, auf wüsten Lagerplätzen, in
    Regensturm und Sonnenbrand, in schlechten Hütten und
    in schönen Schlössern, und immer erinnerte ich mich des
    Kusses und dachte, welches der Mädchen mußte das Unge-
    wöhnliche getan haben. Das erkannte ich, daß der Kuß ein
    tiefes Geheimnis sein sollte, ich forschte nicht und sagte
    keinem Menschen ein Wort davon.
    Der alte Feldherr hatte mich sehr freundlich aufge-
    nommen und mich zu seinen Männern eingeteilt. Ich fand
    alte Bekannte und erwarb neue, und Kameradschaft und
    Freundschaft erneuerte sich und gründete sich. Was auch
    einer für eine Muttersprache redete, wir fragten nicht dar-
    nach, Deutsch konnte ein jeder, und in der deutschen Spra-
    che, gut oder schlecht, selten nach der Schrift, sondern
    meist nach der Landessitte des einzelnen, plauderten wir
    und schlossen den Bund, in Not und Tod miteinander zu
    gehen. In den Gefilden, die ich einmal, da sie ruhig und
    blühend waren, durchwandelt hatte, war nun der Krieg
    und mancherlei Elend und Verwirrung. Aber für uns ka-
    men immer günstigere Tage. Wir gingen vorwärts und vor-
    wärts, der Ehrenglanz der Waffen wuchs, eine Tat gelang,
    die zweite wurde gewagt, und nach vielerlei Ereignissen
    und mancher Unterbrechung kam der letzte Sieg, der den
    Frieden brachte.
    Meine Absicht war nun zunächst erreicht, ich verab-
    schiedete mich auf Zeit und Wiederbedarf, ließ ein Stück
    meines Herzens bei den Freunden und trug das andere
    über die Alpen in die Heimat zurück.
    Ich ging nicht in das Steinschloß, obwohl es in meiner
    Richtung lag, sondern zu meinem Vater in die weiße Sentze.
    Er begrüßte mich sehr liebevoll und sprach in der er-
    sten Zeit gar nicht über die Vergangenheit.
    Ich fand ihn in voller Arbeit. Er vergrößerte den
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