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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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Mov-
    silischirchen an das Hochstift Passau unterschrieben hat,
    und diese Brüder seien jene Brüder gewesen, welche zum
    ersten Male den Kuß von Sentze gegeben haben. Später
    sei durch Mißbrauch des Wortes der Name Palsentze zu
    Sentze verstümmelt worden, was wieder geordnet werden
    müsse. Wie dem auch sei, eines ist richtig: in dem Ge-
    schlechte der Sentze kommen die Namen Huoch, Rupert,
    Walchon, Erkambert, Itha, Hiltiburg, Azela, wie sie bei den
    alten Palsentzen gewesen waren, immer wieder vor, was
    aus den zahlreichen Schriften zu ersehen ist, die sich in
    den drei Häusern bis auf unsere Zeit angesammelt haben.
    Die Sentze sind wohlhabend gewesen oder geworden. Sie
    besitzen jetzt außer den drei Häusern mit den zu ihnen ge-
    hörigen Ländereien noch andere Güter, die sie durch Kauf
    oder Tausch oder auf andere Weise erworben und mannig-
    faltig verändert haben. Sie lebten in neuerer Zeit bald in
    den Stammburgen, bald in andern Schlössern, oft in einer
    angenehmen Stadt, oft auf Reisen.
    Wir teilen aus der letzten Schrift des weißen Hauses
    folgendes mit:
    Am dreizehnten Tage des Monates April des Jahres 1846
    hatte ich meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag, den Tag
    meiner Mündigwerdung. Ich kleidete mich am Morgen
    in meinem Schlafzimmer sorgfältig an und ging in mein
    Wohnzimmer. Der mit Laubwerk eingelegte Tisch war in
    der Nacht ohne mein Wissen mit einem braunen Sammet-
    tuche überlegt worden. Auf dem Sammet lagen sehr schön
    gebundene Bücher. Sie waren eine Sammlung aller altdeut-
    schen Dichtungen. Josef kam herein und sagte, der Vater
    lasse mich zum Frühmahle bitten. Ich ging in die Stube
    des Vaters. Er war festlich gekleidet. Er stand auf, da ich
    eintrat, ging mir entgegen und küßte mich auf die Stirne.
    Seine Augen waren feucht geworden. Ich trocknete mir die
    meinigen und küßte seine rechte Hand. Dann nahmen wir
    das Frühmahl ein, währenddem wir fast immer schwiegen.
    Nach demselben sagte der Vater: „Komme um zehn Uhr,
    wenn es zu dieser Zeit möglich ist, in das Empfangzimmer,
    ich möchte einiges mit dir sprechen.“
    Ich antwortete: „Ich werde kommen.“
    Darauf trennten wir uns.
    Um zehn Uhr ging ich in das Empfangzimmer. Von den
    Geräten waren die Überzüge und Decken weggenommen,
    und sie standen in ihrer Ursprünglichkeit da. Der Vater kam
    gleich nach mir herein. Er setzte sich in den großen Prunk-
    sessel und wies mir einen andern an. Da wir saßen, sprach
    er: „Du bist heute fünfundzwanzig Jahre alt, und nach dem
    Brauche unseres Hauses mündig geworden. Du hast dich
    gegen diese Zahl der Jahre nicht gesträubt, die in den Ge-
    setzen nicht begründet ist. Wenn wir die Feier des heuti-
    gen Tages beendiget haben, werde ich dir die Habe, über
    die du jetzt schon gebieten kannst, einhändigen und dir die
    Rechnungen übergeben, die ich als dein Vormund geführt
    habe. Jetzt muß ich ein anderes Wort zu dir sprechen. Seit
    Walchon und ich das nämliche schöne Fräulein zu ehe-
    lichen gewünscht, seit wir uns den Friedenskuß gegeben
    und ihn so gehalten haben, daß keiner mehr das schöne
    Fräulein begehrte, seit wir unsere Gattinnen in das Grab
    gelegt haben, ist oft der gleiche Spruch über unsere Lippen
    gegangen: ‚Wie einst nur mehr ein Jüngling und eine Jung-
    frau aus unserem Geschlechte übrig gewesen waren, wie
    sie sich geehelicht haben und eine Blüte des Namens dar-
    aus hervorgegangen ist, so sind nun unsere zwei Kinder die
    letzten des Stammes; wenn es doch wieder würde wie da-
    mals, und noch einmal eine Blüte emporkeimte.‘ Mein Sohn,
    ich bitte dich, gehe in diesem Jahre zu der Base Laran nach
    Wien und besuche Hiltiburg. Ihr seid als Kinder recht gut
    miteinander gewesen, vielleicht seid ihr es jetzt nach langer
    Trennung wieder, vielleicht werdet ihr es noch mehr, und
    es erfolgt eine Eheverbindung, was der schönste Wunsch
    eurer Väter ist. Dann besuche einmal Walchon. Er ist in
    der grauen Sentze und betreibt seine Lieblingswissenschaft,
    die der Moose. Das ist, um was ich dich bitten wollte.“
    Der Vater hatte seine Rede geendigt, und ich antwor-
    tete: „Ich werde gerne zu Hiltiburg und gerne zu ihrem
    Vater gehen. Wenn Hiltiburg und ich uns gut sind, wenn
    wir uns noch mehr gut werden, wenn aber jene Neigung
    nicht entsteht, die zu einer Ehe notwendig ist, wirst du
    und Walchon dann noch die Verbindung wünschen?“
    „Nein, mein Sohn,“ sagte der Vater, „das wäre das Ju-
    dastum, das in unserem Stamme so
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