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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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verhaßt ist. Wenn es
    wird, wie du sagst, dann bleibt liebe Verwandte und sucht
    euch Herzgespielen nach eurer Art, es werde daraus, was
    will. So würde auch deine Mutter denken, wenn sie noch
    lebte.“
    Nach diesen Worten sprachen wir noch von verschie-
    denen unbedeutenderen Dingen und trennten uns dann.
    Ich aber trug die Worte des Vaters mehrere Tage mit
    mir im Gedanken herum. Dann schrieb ich an Hiltiburg:
    ‚Geehrtes Fräulein, liebe Base! Ich werde Dich in dem Win-
    ter, der da kommen wird, in Wien besuchen. Unsere Väter
    wünschen, daß wir eine Neigung zueinander fassen, aus
    welcher eine Eheverbindung wird. Wenn ich die Neigung
    fassen kann, wenn Du auch zu mir diese Neigung zu fas-
    sen vermagst, so werde ich sehr erfreut sein. Denke Dir
    aber nicht, daß ich in dem Sinne nach Wien komme, Dich
    durchaus heiraten zu wollen, Du hast die Freiheit, wie
    wenn ich Dir fremd wäre und Du nie etwas von mir gehört
    hättest. Ich schreibe Dir dieses, daß zwischen uns völlige
    Klarheit sei. Im sonstigen bin ich Dein zugeneigter kleiner
    Rupert, der aber jetzt ein großer geworden ist.‘
    Nach sieben Tagen erhielt ich die Antwort: ‚Kleiner,
    guter Rupert! Es ist bei mir immer die Klarheit, daß ich
    nach meinem Erkennen tue. Es wäre Dein Brief nicht nö-
    tig gewesen. Er freut mich aber. Du hast eine sehr schöne
    Handschrift bekommen. Ich erwarte Deine Ankunft und
    bin im übrigen Deine zugeneigte kleine Hiltiburg, die jetzt
    auch eine große geworden ist.‘
    Ich legte den Brief in die Schublade.
    Darnach verging der Sommer und der Herbst.
    Am zwölften Tage des Monates Dezember verließ ich
    unsere Wohnung in der Stadt Nürnberg und reiste nach
    Wien.
    Ich ging dort in das Haus, in welchem die Base Laran
    wohnte, bei der Hiltiburg war. Die Base sagte zu mir: „Sei
    gegrüßt, mein Vetter. Es freut uns, daß du gekommen bist,
    uns zu besuchen. Bleibe nur recht lange bei uns. Es ist auch
    recht schön, daß du gerade heute gekommen bist, morgen
    haben wir ein kleines Abendfest bei uns, zu welchem ich
    dich lade. Du wirst doch kommen?“
    „Ich werde kommen“, sagte ich.
    Dann schellte sie mit einer Glocke nach einer Magd
    und verlangte, daß sie die Kinder rufe.
    Die Magd entfernte sich, und nach einer Weile traten
    die Töchter der Base, Mathilt und Ada, in das Zimmer.
    Sie waren sehr schöne Mädchen geworden. Mathilt
    hatte ein rosiges Angesicht, ungewöhnlich große, braune,
    schimmernde Augen und sehr feine braune Haare. Ada
    hatte noch feinere blonde Haare, ein zarteres Angesicht
    und ebenso große, aber sanfte blaue Augen.
    Die Mädchen reichten mir die Hände, wir begrüßten
    uns, wir sprachen unsere Freude aus, daß wir uns nach
    manchen Jahren wiedersehen, und redeten von unseren
    zunächst gelegenen Dingen.
    Dann fragte ich nach Hiltiburg.
    Die Base sagte: „Als ich die Kinder verlangte, war auch
    Hiltiburg einbegriffen. Ich werde aber noch einmal nach
    ihr senden.“
    Sie sendete die Magd, und es kam die Antwort zurück:
    „Ich habe am heutigen Morgen gesagt, daß ich mich zu dem
    Feste vorbereite und daß ich den ganzen Tag niemanden
    empfangen werde; was ich gesagt habe, muß ich halten.
    Den kleinen Vetter werde ich morgen sehen.“
    Ich ging also an diesem Tage in meine Wohnung zu-
    rück, ohne Hiltiburg erblickt zu haben.
    Am Abende des nächsten Tages ging ich später zu dem
    Feste der Base, als man gewöhnlich zu tun pflegt. Ich erin-
    nere mich der Ursache nicht mehr, welche meine Verspätung
    veranlaßte. Da ich von dem Kleiderzimmer in das anstoßende
    Gemach trat, stand in demselben unter mehreren Menschen
    ein Mädchen, das auffälligerweise ein schwarzes Seidenkleid
    anhatte. Von dem Kleide stand an dem Halse eine kleine
    weiße Krause empor. In den dunkeln Haaren war gar kein
    Schmuck, an der Brust aber glänzte ein vorzüglicher Dia-
    mant. Die Augen des Mädchens waren sehr groß und glänz-
    ten noch mehr als der Diamant. Sie mochten, wie die Be-
    leuchtung zeigte, braun sein. Die Haare waren dunkelbraun.
    Das Angesicht war so schön, wie ich nie ein schöneres Ding
    in meinem Leben gesehen habe, und die Gestalt war fast
    noch schöner als das Angesicht. Das Mädchen sah mich an.
    Es war Hiltiburg. Obwohl ich sie da sie noch ein Kind war
    zum letzten Male gesehen hatte, erkannte ich sie gleich.
    Ich sprach nichts.
    Hiltiburg aber sagte zu mir: „Sei mir gegrüßt, mein
    kleiner Vetter und Bräutigam, lebe nun neben mir und
    siehe, wie es mit uns wird.“
    „Sei
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