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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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Schwere,
    Pracht und Fülle übertraf, und wie ihr Diamant der schön-
    ste war, so überglänzte sie fortan alles durch ihre äußere
    Erscheinung. Die Stoffe ihrer Kleider waren stets sehr kost-
    bar, und der Schnitt und die Anordnung derselben war in
    der hervorragendsten Weise des eben herrschenden Ge-
    brauches. An Gold und Edelsteinen hatte sie einen großen
    Wechsel. Sie zog fast jeden Tag ein anderes Kleid an, und an
    einem Tage wechselte sie oft mehrmals. Wenn sie ausging
    oder in dem Wagen der Base Laran fuhr, was ihr diese gerne
    gestattete, so blieben die Leute stehen und sahen ihr nach.
    In ihren Zimmern waren die Wände des einen mit roter,
    die des anderen mit blauer Seide überzogen. Die Geräte
    waren von schwarzem Samt. Es war auch eine Harfe da, ich
    habe sie aber nie darauf spielen gehört. In einem Kasten
    hatte sie hinter Vorhängen Bücher, von denen man sagte,
    daß sie in ihnen lese, sie zeigte aber nie eines. Die Base
    Laran ließ ihr ihren Willen. Viele junge Männer brachten
    ihr tiefe Aufmerksamkeiten dar und suchten ihre Neigung
    zu gewinnen; aber ihr Blick war stets ruhig, ja fast kalt.
    Ich sprach zu verschiedenen Zeiten gegen die Hoffart
    und ihre Folgen.
    Eines Tages aber redete ich geradezu über diese Dinge
    mit Hiltiburg und tadelte ihre Lebensweise.
    Sie antwortete: „Vetter, ich handle nach meinem Willen,
    wie ihr alle tut. Mein Vater ist in fremden Ländern gewe-
    sen, ich bald an diesem, bald an jenem Orte, bis ich zu den
    jetzigen guten Leuten kam. Du hast mich in meiner Kind-
    heit gesehen, und dann nicht mehr. Und die sich zu ihrem
    Vergnügen an mich drängen, mögen daran ihr Vergnügen
    haben.“
    Ich sagte von nun an nichts mehr; aber ich konnte mein
    Gefühl nicht unterdrücken, es kam etwas wie Verachtung
    gegen Hiltiburg in meine Seele.
    Ich wäre gerne von Wien fortgereist; aber des Vaters
    willen blieb ich da.
    Von der Base Laran wurde ich recht liebreich behandelt.
    Die einsame, alternde Frau war mir wie eine Mutter. Mat-
    hilt, um die sich der junge Herr von Helden bewarb, für
    den sie sich aber noch nicht entschieden zu haben schien,
    war freundlich und traulich gegen mich, und Ada sah
    mich mit den großen, unschuldigen blauen Augen oft recht
    fromm an. Auch an Hiltiburg bemerkte ich, daß sie zuwei-
    len nach mir sah, aber in ihren Augen leuchtete etwas wie
    Haß.
    Ich schrieb endlich meinem Vater die Lage der Dinge,
    und er antwortete, daß er mich in meinen Handlungen
    nicht beirren wolle.
    Ich blieb auch noch den folgenden Winter in Wien.
    Da kamen im Monate März die Unruhen, die damals
    durch halb Europa gingen.
    Die Base Laran beschloß, die Stadt zu verlassen und
    mit ihren Töchtern und mit Hiltiburg in ihr Gut am Steine
    zu gehen. Sie lud mich ein, sie dort zu besuchen.
    Ich antwortete: „Ich muß in den Begebenheiten, die da
    kommen werden, handeln, gedenke aber doch eine Zeit zu
    finden, einen Besuch in dem Steinschlosse zu machen.“
    Die Base zog mit den Ihrigen bald fort.
    Ich ging nach einiger Zeit zu meinem Vater in die weiße
    Sentze, in die er zurückgekehrt war.
    Dann wollte ich auf kurze Zeit mein Wort lösen und
    ging in das Schloß am Steine.
    Die Base hatte sich in dem alten, weitläufigen Gebäude
    eingerichtet. Ich fand einen Verwalter mit Amtsleuten da
    und einen Forstmeister mit Forstgehilfen. Diese Männer
    besorgten die Angelegenheiten des Gutes. Sie gingen auch
    sonst in allem, was die Zeitläufe fordern mochten, der
    Base mit Rat und Tat an die Hand. Der Verwalter hatte
    eine sehr angenehme, wohlgebildete Frau und zwei Töch-
    ter von großer Schönheit. Die Gattin des Forstmeisters war
    von einnehmendem Wesen und ihre Tochter fast so schön
    wie die Töchter des Verwalters. Diese Leute versammelten
    sich fast alle Abende mit der Base und den Ihrigen in dem
    Saale des Schlosses. Da waren denn nun die Ereignisse der
    Zeit beinahe immer der ausschließliche Gegenstand der
    Gespräche. Man verhandelte eifrig hin und wider.
    Eines Tages, da man sehr angelegentlich geredet hatte,
    sagte ich: „Die Freiheit als die Macht, unbeirrt von jeder
    Gewalt, die höchste Menschheit an sich zu entwickeln, ist
    das größte äußere Gut des Menschen. Der rechte Mensch
    ist frei von den Gelüsten und Lastern seines Herzens und
    schafft sich Raum für diese Freiheit oder lebt nicht mehr.
    Wer so nicht frei ist, kann es anders nicht sein. Das andere
    ist die Freiheit des Tieres, das nach seinen Trieben tut. Ich
    hoffe, daß bei uns Männer sind,
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