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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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Hut ab und setze dich zu meiner
    Rechten.“
    Wir legten die Hüte auf ein Nebentischchen, er setzte
    sich an das obere Ende des Speisetisches und ich setzte
    mich rechts von ihm an die Langseite desselben.
    Sogleich wurde auch das Mahl hereingetragen. Ein
    kleiner alter Mann, den ich nicht kannte, brachte auf ei-
    ner Schüssel Rinderbraten. Dann brachte er eine Flasche
    mit Wein und eine mit Wasser. Hierauf setzte er sich sel-
    ber an den Tisch. Ein Mann in mittlerem Alter, ganz weiß
    gekleidet, kam herein und setzte sich zu uns. Das nämli-
    che tat der alte Wilhelm. Wir fünf Männer verzehrten nun
    den Rinderbraten und aßen gutes Roggenbrot und tranken
    Wein und Wasser dazu. Der Hund bekam seine Nahrung
    von unserem Tische in einem irdenen Trog, der auf der Erde
    stand. Diese eine Speise war das Mittagmahl gewesen.
    Nach dem Essen sagte der Vetter zu mir: „Hier ist Wil-
    helm, der Seneschall unserer Waldburg, hier ist Adalo, der
    Koch, und hier Dietrich, der Truchseß. Das ist die Besat-
    zung. Sie wird dir von manchem Dienste sein, wenn du es
    bedarfst. Von Menschen ist sonst nichts hier. Der Hund
    Witun ist unser Wächter und Beschützer, die zwei Saum-
    pferde bringen uns den Bedarf und die paar Kühe geben
    uns Milch. Das sind die Tiere, die wir hegen. Die andern
    sind freiwillig da: die Käfer, Fliegen, Eidechsen, Falter,
    Mäuse. Du wirst alles und den Brauch dieses Hauses ken-
    nenlernen. Jetzt trennen wir uns, und pflege jeder seiner
    Zeit.“
    Er nahm seinen Hut, grüßte mit der Hand und entfernte
    sich mit dem Hunde aus dem Speisegemache. Ich nahm
    gleichfalls meinen Hut und folgte ihm. Ich sah ihn in das
    Pflanzenzimmer gehen, und ich ging in das Birkenzimmer.
    Wohin sich die andern begaben, beachtete ich nicht.
    Ich setzte mich in meinem Zimmer auf einen Stuhl
    und blickte eine Zeit durch das Fenster auf den entfernten
    Wald, der im Mittage stand.
    Als ich dann meinen Vetter mit seinem großen Hunde
    durch die Verzäunung hinausgehen sah, erhob ich mich,
    verließ gleichfalls mein Zimmer und das Haus, und weil
    ich nicht wußte, wen ich um mein Ränzlein schicken
    sollte, ging ich selber nach Sonnberg hinunter und nahm
    dort einen Mann, der es mir herauftrug. Ich brachte dann
    meine Habseligkeiten in dem Birkengemach unter. So war
    der Tag vergangen. Gegen den Abend wandelte mein Vet-
    ter mit seinem Hunde wieder durch die Gesteine herein.
    Als die Sonne untergegangen war, holte mich Dietrich
    zum Abendessen. Es bestand aus einem kalten Rehbraten
    und wie am Mittage aus dieser einzigen Speise. Der Hund
    aß wieder neben uns auf der Erde. Nach dem Essen sagte
    mein Vetter eine gute Nacht, die andern taten desgleichen,
    und man zerstreute sich. Ich ging in mein Zimmer, las
    noch lange in einem meiner Bücher und legte mich erst
    zur Ruhe, als schon die tiefe Nacht unter all diesem Ge-
    steine war.
    Beim Aufgange der Sonne holte mich Dietrich zum
    Frühmahle. Dasselbe bestand aus Milch und Brot. Da
    es vorüber war, verließen wir wieder das Speisezimmer.
    Ich blieb zwei Stunden in meinem Gemache und las und
    schrieb. Dann kleidete ich mich sorgfältig an und stattete
    meinem Vetter den ersten Besuch ab. Er schien mich er-
    wartet zu haben; denn er war besser gekleidet als gestern
    und war noch in seinem Zimmer. Er saß vor einem Tische,
    auf dem er einige Hände voll Moose hatte, und suchte in
    ihnen herum. Er stand auf, da ich hereingekommen war,
    führte mich zu dem Ruhebette, lud mich mit der Hand
    zum Sitzen ein, und da ich es getan hatte, setzte er sich
    zu meiner Linken. Der Besuch war kurz, wir sprachen von
    allgemeinen Dingen, und ich entfernte mich wieder. Nach
    einer Stunde kam er sehr schön gekleidet zu mir und blieb
    einige Augenblicke da.
    Die feierlichen Ankunftsbesuche waren nun abgetan,
    und der Vormittag war bald vorüber.
    Nach dem Mittagessen ging ich in die Umgebungen des
    Hauses. In der Nähe konnte man in gebrochenen Richtun-
    gen zwischen den Steinen durchgehen, weiter rückwärts
    hätte man sie übersteigen müssen, und an dem Giebel
    hätte wohl kaum der geschickteste Kletterer emporkom-
    men können. In der entfernteren Richtung gegen Abend
    lagen sie loser, und es kamen Erlengebüsche, Wachhol-
    der- und Haselgesträuche. In den Wäldern, die gegen
    Mitternacht emporgingen, waren sie auch zerstreut, und
    zwischen ihnen standen die hohen Bäume empor, und es
    waren unzählige Moose und schöne Farrenkräuter.
    Gegen den Untergang der Sonne kehrte ich wieder in
    das Haus
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