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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange
Autoren: Ruth Rendell
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Zigaretten stiegen Rauchspiralen auf, die sich mit dem blauen Dunst vermengten, der zwischen den leise schwankenden Girlanden hing. Wexford bahnte sich einen Weg an die Bar. Zwei Barmänner und ein Mädchen bedienten, servierten fieberhaft Getränke, wischten über den Tresen, versenkten schmutzige Gläser in das dampfende Spülbecken.
    »Der nächste bitte?« rief der ältere der beiden Barkeeper, der Inhaber vielleicht. Sein Gesicht war rot, die Stirn glänzte von Schweiß, und das graue Haar klebte ihm in feuchten Locken am Kopf. »Was nehmen Sie, Sir?«
    Wexford sagte: »Polizei. Ich suche nach einem großen, schwarzhaarigen Mann, etwa fünfundvierzig, und einer jüngeren, blonden Frau.« Sein Ellbogen wurde angestoßen, und er spürte, wie ihm ein Rinnsal aus Bier das Handgelenk entlanglief. »Sie waren gestern abend hier. Sein Name ist…«
    »Die sagen mir doch nicht ihre Namen. Und gestern abend waren hier ungefähr fünfhundert Leute.«
    »Ich habe aber Grund zu der Annahme, daß sie regelmäßig hierhergekommen sind.«
    Der Barmann zuckte die Achseln. »Ich muß meine Gäste bedienen. Können Sie zehn Minuten warten?«
    Aber Wexford fand, er habe lange genug gewartet. Sollte die Sache in andere Hände übergehen, er konnte nichts weiter tun. Er drängte sich wieder durch die dichte Menschenmenge, wollte zur Tür. Er war wie benebelt von den Farben, den Lichtern, dem dichten Qualm und dem schweren Alkoholdunst. Farbige Umrisse allenthalben, die Kreise der roten und purpurnen Ballons, die leuchtenden, durchsichtigen Konusse der Likörflaschen, die Rechtecke der farbigen Glasfenster … Ihm schwindelte der Kopf, und ihm fiel ein, daß er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Rote und purpurne Kreise, orange und blaue Papierkugeln, hier ein grünes Glasquadrat, dort ein hellgelbes Rechteck …
    Ein hellgelbes Rechteck! Sein Kopf wurde augenblicklich klar. Er hatte sich wieder in der Gewalt. Eingeklemmt zwischen einem Mann in einem Ledermantel und einem Mädchen in einem Pelzmantel blickte er durch einen winzigen Spalt, der nicht von Röcken und Beinen und Stuhlbeinen und Handtaschen verstellt war, blickte durch den beißenden blauen Qualm auf jenes gelbe Rechteck, das eine Flüssigkeit in einem hohen Glas war, und er sah, wie es von einer Hand gehoben wurde und aus seinem Gesichtsfeld entschwand.
    Pernod. Kein populäres Getränk in England. Ginge hatte es mit Guiness vermischt als ›Demon King‹ getrunken. Und jemand anders, nämlich sie, die er suchte, seine Schimäre, sein Hirngespinst, trank es verdünnt und gelb gefärbt durch Wasser. Er bewegte sich langsam vorwärts, schob sich auf den Ecktisch zu, wo sie saß, aber er kam nur auf drei Meter an sie heran. Es waren zu viele Leute im Weg. Aber jetzt gab es für ihn eine Sichtscharte auf Augenhöhe, durch die er sie sehen konnte, und erblickte sie an, unentwegt, starrte sie begierig an, wie ein verliebter Mann eine Frau anstarrt, auf deren Erscheinen er Monate und Monate gewartet hat.
    Sie hatte ein hübsches Gesicht, ein müdes, blasses Gesicht. Ihre Augen waren durch den Qualm gerötet, und ihre kurzgeschorenen, blonden Haare waren an der Kopfhaut gut einen Zentimeter dunkel nachgewachsen. Sie war allein, aber der Stuhl neben ihr war mit einem zusammengefalteten Mantel belegt, einem Herrenmantel. An der Wand hinter ihr aber und zu ihren Füßen standen wie eine Mauer um sie herum ein halbes Dutzend Koffer aufgetürmt. Wieder hob sie ihr Glas und nippte daran, ohne im geringsten von ihm Notiz zu nehmen, aber sie blickte immer wieder nervös und hastig zu der schweren Mahagonitür hinüber, an der Telefon und Toiletten stand. Wexford zögerte, starrte weiter auf seine fleischgewordene Schimäre, bis Hüte und Haare und Gesichter sich davor schoben und sie seinen Blicken entzogen.
    Er öffnete die Mahagonitür, schlüpfte in den Korridor dahinter, sah gegenüber zwei weitere Türen, und am Ende des Korridors war eine Glaszelle. Darin stand Hathall über das Telefon gebeugt; er hatte Wexford den Rücken zugekehrt. Er ruft den Flughafen an, dachte Wexford, ruft an, um zu fragen, ob sein Flug jetzt, wo der Nebel sich lichtet, abgeht. Er ging in die Herrentoilette, zog die Tür hinter sich zu, wartete, bis er Hathalls Schritte im Korridor hörte.
    Die Mahagonitür fiel ins Schloß. Wexford ließ noch eine Minute verstreichen, dann ging auch er zurück in die Bar. Die Koffer waren fort, das gelbe Glas leer. Er boxte die Leute zur Seite, ignorierte
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