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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange
Autoren: Ruth Rendell
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in müde Gesichter, empörte Gesichter, gelangweilte Gesichter. Hathall war nicht da.
    »Nach dem Wetterbericht soll sich der Nebel gegen Abend lichten«, sagte Burden.
    »Und wenn es nach dem Langzeit-Wetterbericht geht, dann soll es weiße Weihnachten geben, weiße Nebelweihnachten. Sie und Polly bleiben hier, Mike. Setzen Sie sich mit dem Chief Constable in Verbindung und sorgen Sie dafür, daß sämtliche Ausreisehäfen überwacht werden, nicht bloß Heathrow.«
    So blieben Burden und Polly zurück, während Wexford und Lovat und Hutton sich auf die lange Fahrt nach Hampstead begaben. Es ging sehr langsam voran. Dichte Verkehrsströme, die auf die M1 strebten, verstopften die nordwestlichen Straßen, und der Nebel, bräunlich verfärbt durch die von oben scheinende, gelbe Straßenbeleuchtung, warf ein undurchsichtiges Leichentuch über die Stadt. Sämtliche Landmarken auf dem Weg, die ihm mittlerweile nur zu vertraut waren, hatten ihre scharfen Konturen verloren und sahen verwaschen aus. Das hügelige Hampstead lag unter einem rauchigen Schleier, und die großen Bäume von Hampstead kauerten wie schwarze Wolken am Boden, ehe sie weiter oben vom blasseren Dunst verschlungen wurden. Zehn Minuten vor sieben krochen sie endlich in die Dartmeet Avenue und hielten vor Nummer 62. Das Haus lag im Dunkeln, jedes Fenster fest verschlossen und nachtschwarz. Die Mülltonnen waren von Nässe überzogen, wo der Nebel auf ihnen kondensiert war. Ihre Deckel waren zerbrochen, und unter einem kam eine Katze herausgeschossen, einen Hühnerknochen im Maul. Als Wexford aus dem Wagen stieg, drang ihm der Nebel in die Kehle. Er mußte an einen anderen Nebeltag denken, damals, in der Altstadt von Myringham, an Männer, die vergeblich nach einer Leiche gegraben hatten, die dort nie gewesen war. Er mußte daran denken, wie überhaupt seine ganze Verfolgungsjagd auf Hathall von Zweifeln und Konfusion und Behinderung vernebelt gewesen war. Dann trat er an die Haustür und drückte auf den Klingelknopf des Hauswirts.
    Er hatte schon zweimal geläutet, als es endlich hinter der Glasscheibe des Oberlichts über der Tür hell wurde. Schließlich wurde die Tür von demselben kleinen, älteren Mann geöffnet, den Wexford schon einmal gesehen hatte, als er nach draußen kam, um seine Katze zu holen. Er rauchte eine dünne Zigarre und zeigte weder Überraschung noch Interesse, als der Chief Inspector sagte, wer er sei, und seinen Ausweis zeigte.
    »Mr. Hathall ist gestern abend ausgezogen«, sagte er nur.
    »Gestern abend?«
    »Richtig. Wenn ich ehrlich sein soll, so hatte ich gedacht, daß er nicht vor heute morgen ausziehen würde. Er hat bis heute abend Miete bezahlt. Aber gestern abend tauchte er ziemlich in Eile bei mir auf und sagte, er hätte sich entschlossen, gleich auszuziehen. Und dagegen konnte ich ja auch gar nichts haben, nicht wahr?«
    Die Diele war eiskalt trotz des Ölofens, der am Fuß der Treppe stand, und es roch nach verbrennendem Öl und nach Zigarrenrauch. Lovat rieb die Hände aneinander und hielt sie dann über die blaugelben Flammen unter dem Gitter.
    »Mr. Hathall kam gestern abend gegen acht mit einem Taxi nach Hause«, berichtete der Hauswirt. »Ich war draußen im Vorgarten und rief meine Katze. Er kam zu mir und sagte, er wolle sein Zimmer jetzt auf der Stelle aufgeben.«
    »Was für einen Eindruck machte er?« hakte Wexford nach. »Hatte er Angst? War er aufgeregt?«
    »Nein, nichts Außergewöhnliches. Der war ja nie das, was man einen umgänglichen Menschen nennt. Meckerte immer und ewig über irgendwas. Wir gingen gemeinsam rauf in sein Zimmer, damit ich das Inventar überprüfen konnte. Darauf bestehe ich immer, ehe ich ihnen ihre Vorauszahlung zurückgebe. Möchten Sie jetzt raufgehen? Da ist zwar nichts zu sehen, aber wenn Sie wollen, bitte schön.«
    Wexford nickte, und sie stiegen die Treppe hinauf. Diele und Treppenflur waren von Lampen erhellt, die nach zwei Minuten automatisch ausgingen, und sie gingen aus, ehe Hathalls Tür erreicht war. Der Hauswirt fluchte in der stockschwarzen Dunkelheit und suchte umständlich nach Schlüsseln und Lichtschalter. Und Wexford, dessen Nerven wieder unter Spannung standen, gab einen panischen Grunzlaut von sich, als etwas auf dem Handlauf des Treppengeländers entlangstrich und dem Hauswirt auf die Schulter sprang. Es war natürlich bloß die Katze. Das Licht ging wieder an, die Schlüssel kamen zum Vorschein, und die Tür wurde geöffnet. Das Zimmer war muffig und
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