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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange
Autoren: Ruth Rendell
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Ungeheuerlichkeit begangen, Eileen als habgierige Hexe zu bezeichnen. Viel mußte geschehen, vielfache Wiedergutmachung mußte geleistet werden, ehe diese Taktlosigkeit vergessen werden konnte. Mrs. Hathall erinnerte sich noch gut daran, wie sie damals beschlossen hatte, Angela nie – niemals und unter keinen Umständen – wiederzusehen. Es bewies wirklich, wie nachsichtig sie war, daß sie jetzt nach Kingsmarkham fuhr.
    In Myringham stolperte der Mann am Fenster mit taub gewordenen Beinen aus dem Zug, und Mrs. Hathall nahm seinen Platz ein. Robert, das bemerkte sie wohl, wurde allmählich nervös. Das war ja auch kein Wunder. Er wußte sehr wohl, daß Angela sich als Köchin und Hausfrau mit Eileen nicht messen konnte, und er fragte sich wohl, wie weit seine zweite Frau hinter den Maßstäben der ersten zurückbleiben würde. Seine nächsten Worte bestätigten denn auch ihre Vermutung, daß ihn das beunruhigte.
    »Angela hat die ganze Woche mit dem Frühjahrsputz zugebracht, damit du es schön hast.«
    Mrs. Hathall war schockiert, daß jemand so etwas laut äußerte, noch dazu in einem Abteil voller Leute. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, daß er erstens leiser sprechen sollte und zweitens, daß jede anständige Frau ihr Haus immer sauberhielte. Aber sie begnügte sich mit einem: »Meinetwegen hätte sie sich die Mühe nicht machen müssen.« Kurz und knapp fügte sie hinzu, daß es jetzt Zeit sei, ihren Koffer herunterzuholen.
    »Es sind noch fünf Minuten«, wandte Robert ein.
    Statt einer Antwort erhob sie sich schwerfällig und mühte sich selber mit dem Koffer ab. Robert und noch ein anderer Mann beeilten sich, ihr zu helfen. Beinahe wäre der Koffer einer jungen Frau mit einem Baby im Arm auf den Kopf gefallen, und als der Zug abbremste, um in Kingsmarkham zu halten, stolperten alle durcheinander, jeder klammerte sich an jeden, und im ganzen Wagen herrschte ein gelindes Chaos.
    Draußen auf dem Bahnsteig sagte Mrs. Hathall: »Wenn du mir geholfen hättest, wäre das nicht passiert. Aber du warst ja schon immer eigensinnig.«
    Sie verstand nicht, warum er sich nicht zur Wehr setzte und sich verteidigte. Anscheinend war er noch viel nervöser, als sie gedacht hatte. Um ihn noch mehr zu reizen, sagte sie: »Wir nehmen doch ein Taxi?«
    »Angela holt uns mit dem Wagen ab.«
    Dann blieb also nicht mehr viel Zeit für das, was sie ihm sagen wollte. Sie schob ihm den Koffer zu und hängte sich mit besitzergreifender Miene bei ihm ein. Nicht, daß sie seine Unterstützung und seinen Beistand nötig hätte, aber sie fand es äußerst wichtig, daß diese Schwiegertochter – wie ärgerlich und anrüchig, zwei Schwiegertöchter zu haben! – sie beide gleich beim ersten Anblick vertraut Arm in Arm sehen sollte.
    »Eileen ist heute morgen bei mir vorbeigekommen«, begann sie, als sie ihre Fahrkarten abgaben.
    Abwesend zuckte er die Schultern. »Ich wundere mich bloß, daß ihr beiden nicht schon zusammen wohnt.«
    »Das würde dir so passen, was? Dann müßtest du ihr nicht mehr ein Dach über dem Kopf finanzieren.« Mrs. Hathall verstärkte den Klammergriff um den Arm, den er ihr entziehen wollte. »Sie sagt, ich soll dich herzlich grüßen, und warum du eigentlich nicht mal abends bei ihr reinschaust, wenn du in London bist.«
    »Du machst Witze«, meinte Robert Hathall, aber er sagte es ausdruckslos und ohne Verbitterung. Er ließ seinen Blick über den Parkplatz schweifen.
    Stur auf ihrem Thema beharrend, fing Mrs. Hathall wieder an: »Es ist eine gottlose Schande …« und blieb mitten im Satz stecken. Eine geradezu wundervolle Ahnung stieg in ihr auf. Sie kannte Roberts Wagen, hätte ihn überall erkannt, er besaß ihn dank all der Schwierigkeiten, die diese Frau über ihn gebracht hatte, lange genug. Auch sie ließ ihre scharfen Augen suchend über den Platz schweifen, und dann sagte sie in zufriedenem Ton: »Sieht nicht so aus, als hätte sie sich die Mühe gemacht, uns abzuholen.«
    Robert schien aus der Fassung gebracht. »Der Zug war ein paar Minuten zu früh.«
    »Er hatte drei Minuten Verspätung«, versetzte seine Mutter. Sie seufzte glücklich. Eileen wäre pünktlich gewesen, um sie abzuholen. Eileen hätte auf dem Bahnsteig gestanden, hätte ihre Schwiegermutter geküßt und fröhlich versichert, daß sie ein üppig gedeckter Tisch erwarte. Und ihre Enkeltochter auch … Mrs. Hathall sagte seufzend zu sich selbst, aber doch so laut, daß man es hören konnte: »Arme kleine Rosemary.«
    Es war
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