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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange
Autoren: Ruth Rendell
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Frisiertisches war herausgezogen worden. Sie bemerkte das alles, aber nie konnte Angelas vorzügliche Leistung ihren Haß mildern. Es war einfach nur schade, daß ihre Schwiegertochter sich mit diesen Waffen ausgerüstet hatte, schade, das war alles. Und kein Zweifel: All ihre anderen Fehler, etwa der, daß sie nicht da war, um ihre Schwiegermutter zu begrüßen, wogen diese geringe Tugend mehr als auf.
    Mrs. Hathall ging ins Badezimmer. Blankgeputzte Kacheln, duftig saubere Handtücher, Gästeseife … Sie verzog grimmig den Mund. Das Geld konnte doch nicht so knapp sein, wie Robert ihr immer weisgemacht hatte. Immer wieder sagte sie sich, wie sehr sie diese Täuschung verabscheue, ohne sich einzugestehen, daß sie erneut um einen Triumph gebracht worden war, denn nun konnte sie den beiden nicht mehr ihre Armut vorhalten und ihnen die Gründe dafür ins Gesicht sagen. Sie wusch sich die Hände und trat wieder auf den Korridor hinaus. Die Tür zum Schlafzimmer der beiden war nur angelehnt. Mrs. Hathall zögerte. Aber die Versuchung, hineinzusehen und womöglich ein zerwühltes Bett, ein Durcheinander schäbiger Kosmetikartikel vorzufinden, war zu groß, um ihr zu widerstehen. Vorsichtig trat sie ein.
    Das Bett war nicht zerwühlt, sondern ordentlich gemacht. Auf der Decke lag ein Mädchen mit dem Gesicht nach unten, anscheinend in tiefem Schlaf. Ihr dunkles, ziemlich ungepflegtes Haar bedeckte die Schultern, und der linke Arm war weit ausgestreckt. Mrs. Hathall sagte wieder »Hmm …«, und jene warme innige Befriedigung strömte ungetrübt in sie zurück. Hier lag Roberts Frau und schlief, war vielleicht sogar betrunken. Sie hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, ihre Leinenschuhe auszuziehen, ehe sie dort zusammensackte. Sie hatte die gleichen Sachen an wie an jenem Tag in Earls Court, wahrscheinlich war sie immer so angezogen. Sie trug abgenutzte Jeans und ein rotkariertes Hemd. Mrs. Hathall dachte an Eileens hübsche Kleider für den Nachmittag und an ihr kurzes, zu einer Dauerwelle frisiertes Haar, an Eileen, die höchstens am Tag schlief, wenn sie sich an der Schwelle des Todes befände. Und dann ging Mrs. Hathall hinüber zu dem Bett, blickte darauf nieder und runzelte die Stirn. »Hm …« sagte sie wieder, aber diesmal hatte sie ein warnendes »Hm …« geäußert, um ihre Gegenwart kundzutun und eine sofortige, beschämte Reaktion auszulösen.
    Aber es passierte nichts. Der natürliche Zorn eines Menschen, der sich unerträglich beleidigt fühlt, ergriff Mrs. Hathall. Sie legte eine Hand auf die Schulter ihrer Schwiegertochter, um sie zu schütteln. Aber sie tat es nicht. Das Fleisch des Nackens war eiskalt, und als sie die Haarmähne anhob, sah sie eine bleiche Wange, aufgedunsen und bläulich.
    Die meisten Frauen hätten geschrien. Mrs. Hathall gab keinen Laut von sich. Ihr Körper wurde noch ein wenig kompakter und schrankähnlicher, als sie sich aufrichtete und die dicke, große Hand auf ihr pumpendes Herz legte. Schon oft in ihrem langen Leben hatte sie den Tod gesehen – den ihrer Eltern, ihres Mannes, den von Onkel und Tanten, aber noch nie zuvor hatte sie gesehen, was das dunkelrote Mal auf diesem Nacken signalisierte – Tod durch Gewalt. Sie empfand weder Triumph noch Furcht, sie fühlte nichts als den Schock. Schwerfällig ging sie durch das Zimmer und begann die Stufen hinabzusteigen.
    Robert wartete am Fuß der Treppe. In dem Maße, in dem sie zur Liebe fähig war, liebte sie ihn, und als sie jetzt auf ihn zuging, ihm die Hand auf den Arm legte und ihn mit verhaltener, zögernder Stimme ansprach, da war sie der Zärtlichkeit so nahe wie nur irgend möglich. Und sie benutzte die einzigen Worte, die sie wußte, um eine solche Hiobsbotschaft zu überbringen.
    »Da ist ein Unfall geschehen. Geh am besten hoch und sieh es dir an. Es ist… es ist zu spät, um irgend etwas zu tun. Versuch es wie ein Mann zu nehmen.«
    Er stand ganz still. Er sagte nichts.
    »Sie ist gestorben, Robert. Deine Frau ist tot.« Sie wiederholte die Worte, denn er schien sie nicht zu begreifen. »Angela ist tot, mein Sohn.«
    Sie empfand das vage, unangenehme Gefühl, daß sie ihn umarmen, ein paar zärtliche Worte sagen müßte, aber sie hatte seit langem vergessen, wie man das machte. Außerdem zitterte sie jetzt, und ihr Herz pumpte unregelmäßig. Er war weder blaß noch rot geworden. Beherrscht ging er an ihr vorbei und stieg die Treppe hinauf. Sie stand wartend da, zu nichts fähig, rieb die Hände gegeneinander und
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