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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange
Autoren: Ruth Rendell
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Scheine aus der Handtasche gestohlen hatte. Sie mußten ihre Dienstwohnung räumen und zogen als illegale Bewohner in eines der baufälligen Häuser in der Altstadt von Myringham. Aber bald darauf gab Morag ihm den Laufpaß. Grey sagt, sie habe den wahren Grund seiner Kündigung herausgefunden und erklärt, sie wolle nicht mehr mit einem Dieb zusammenleben. Ziemlich windige Geschichte, das werden Sie mir zugeben, Sir, aber er beharrte darauf, trotz der Tatsache, daß er unmittelbar von ihr zu einer anderen Frau zog, die ein Zimmer auf der anderen Seite von Myringham hatte, etwas über einen Kilometer entfernt.«
    »Klingt nicht sehr wahrscheinlich«, meinte Wexford nachdenklich, »unter solchen Umständen.«
    »Er sagt, er habe das Geld, das er geklaut hat, für ein Geschenk für sie ausgegeben, für eine goldene Schlangenkette.«
    »Ach.«
    »Was ja wahr sein mag, aber nicht viel beweist.«
    »Das würde ich nicht sagen, Sergeant. Was ist aus ihr geworden, nachdem sie allein dort zurückblieb?«
    »Darüber wissen wir sehr wenig. Illegale Hausbewohner haben keine Nachbarn im normalen Sinne, das sind ja ständig umherziehende Leute. Sie hatte verschiedene Putzstellen bis in den August, von da an lebte sie von der Sozialunterstützung. Alles, was wir wissen, ist, daß Morag einer Frau in der Häuserzeile dort erzählt hat, sie habe in der Umgebung einen guten Job gefunden und würde wegziehen. Was das für ein Job war und wohin sie zog, haben wir nicht feststellen können. Seit Mitte September hat niemand sie mehr gesehen. Grey kam gegen Weihnachten zurück und nahm mit, was sie an Besitztümern zurückgelassen hatte.«
    »Sagten Sie nicht, es sei ihre Mutter gewesen, die schließlich Alarm geschlagen hätte?«
    »Morag war eine regelmäßige Briefschreiberin gewesen, und als ihre Mutter keine Antwort auf ihre Briefe mehr kriegte, schrieb sie an Grey. Er fand die Briefe, als er Weihnachten dorthin zurückging, und schließlich schrieb er auch zurück, irgendeine Lügengeschichte, daß er gedacht hätte, seine Frau sei nach Schottland zurückgekehrt. Die Mutter hatte Richard Grey nie über den Weg getraut, und sie ging zur Polizei. Sie kam sogar persönlich her, und wir mußten uns einen Dolmetscher suchen, weil – glauben Sie’s oder nicht – weil sie bloß gälisch sprach.«
    Wexford, der in diesem Moment das schwindelnde Gefühl hatte, daß es nichts auf der Welt gäbe, was es nicht gab, fragte nur: »Spricht Morag auch – auch gälisch?«
    »Ja, Sir. Sie ist zweisprachig.«
    Mit einem Seufzer sank Wexford in die Polsterung zurück. Es gab noch ein paar lose Enden, die verknüpft werden, ein paar unerklärte Einzelheiten, die erklärt werden mußten, aber sonst… Er schloß die Augen. Der Wagen fuhr sehr langsam. Ohne aufzublicken, überlegte er vage, ob sie wohl in dichten Verkehr gerieten, je näher sie London kamen. Aber das machte ja nichts. Inzwischen hatte man Hathall wohl schon festgehalten, hatte ihn in irgendeinen kleinen Seitenraum des Flughafens gesperrt. Und selbst wenn man ihm nicht gesagt hatte, weshalb er nicht fliegen dürfe – er würde es wissen. Er würde wissen, daß alles aus war. Der Wagen stand annähernd still. Wexford öffnete die Augen und griff nach Burdens Arm. Er kurbelte das Fenster hinunter.
    »Sehen Sie«, meinte er und zeigte auf den Erdboden, der jetzt im Schneckentempo vorbeirollte. »Sie bewegt sich doch. Und das da …« Sein Arm zeigte nach oben, himmelwärts, »… das bewegt sich nicht.«
    »Was bewegt sich nicht?« fragte Burden. »Da ist doch nichts zu sehen. Schauen Sie selbst. Wir haben Nebel.«

22
    Es war fast vier Uhr, ehe sie den Flughafen erreichten. Alle Maschinen standen am Boden, Weihnachtsurlauber füllten die Lounges, und lange Schlangen bildeten sich vor den Informationsschaltern. Der Nebel hüllte alles ein, er war duftig wie luftiger Schnee, lagerte wolkendick auf der Erde, ein weißes Gas, in dem die Menschen husteten und ihre Gesichter verbargen.
    Hathall war nicht da.
    Gegen halb zwölf hatte der Nebel begonnen, sich auf Heathrow herabzusenken, andere Stadtteile Londons hatte er jedoch schon früher heimgesucht. War Hathall unter den Hunderten von Leuten gewesen, die aus den nebeligen, äußeren Vororten angerufen hatten, um zu fragen, ob ihre Flüge abgehen würden? Das war nicht festzustellen. Langsam und gewissenhaft durchkämmte Wexford sämtliche Lounges, ging von der Bar ins Restaurant und auf die Zuschauerterrasse, er blickte in jedes Gesicht,
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