Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
Beschimpfungen, erreichte die Tür zur Straße und stieß sie auf. Hathall und die Frau standen an der Straßenecke, umgeben von ihren Koffern, und warteten darauf, daß ein Taxi vorbeikäme.
    Wexford sah scharf zum Wagen hinüber, begegnete Huttons Blick, hob kurz die Hand und nickte. Drei Türen des Wagens öffneten sich gleichzeitig, und die drei Polizisten standen draußen, als hätten sie Sprungfedern in den Füßen. Und da begriff Hathall. Er fuhr herum, blickte ihnen entgegen und legte mit schützender, aber vergeblicher Geste den Arm um die Frau. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht, das vorspringende Kinn, die scharfe Nase und die hohe Stirn verfärbten sich im dunstigen Licht der gelben Straßenlampen grünlich vor Entsetzen über das endgültige Scheitern all seiner Hoffnungen. Wexford trat auf ihn zu.
    Die Frau sagte: »Wir hätten gestern abend fliegen sollen, Bob.« Und als er ihren Akzent hörte, der durch die Angst noch verstärkt wurde, da wußte er Bescheid. Es gab keinen Zweifel mehr. Aber es verschlug ihm die Sprache, er stand stumm da und überließ es Lovat, auf sie zuzugehen und mit den üblichen Verhaftungsfloskeln zu beginnen:
    »Morag Grey…«
    Sie preßte die Fingerknöchel an die zitternden Lippen, und Wexford sah die kleine L-förmige Narbe auf ihrem Zeigefinger, genauso, wie er sie im Traum gesehen hatte.

23
    Heiligabend.
Sie waren alle angekommen, und Wexfords Haus war voll. Oben lagen die beiden kleinen Enkelsöhne im Bett. In der Küche beschäftigte sich Dora mit der Pute und beriet sich mit Denise über die immens wichtige Frage, ob man sie aufhängen oder auf das Ofenblech legen solle. Im Wohnzimmer schmückten Sheila und ihre Schwester den Tannenbaum, während Burdens Teenagerkinder den Plattenspieler einer ziemlich laienhaften Überprüfung unterzogen, damit er am nächsten Tag in Ordnung war. Burden war mit Wexfords Schwiegersohn auf einen Drink in den Dragon gegangen.
    »Also bleibt für uns nur das Eßzimmer«, sagte Wexford zu seinem Neffen. Der Tisch war bereits für das Weihnachtsessen gedeckt und in der Mitte mit einem schönen Tafelaufsatz geschmückt. Auch die Holzscheite im Kamin waren schon vorsorglich geschichtet, ebenso sakrosankt wie der gedeckte Tisch, aber Wexford hielt ein Streichholz an die Späne. »Ich werde Ärger kriegen deswegen«, meinte er, »aber das ist mir egal. Mir ist ohnehin alles egal jetzt, wo ich sie gefunden habe, ich meine, wo du und ich sie gefunden haben«, fügte er freimütig hinzu.
    »Ich habe dabei ja so gut wie nichts gemacht«, sagte Howard. »Ich habe nicht mal rausgefunden, wo sie wohnte. Wahrscheinlich weißt du es inzwischen?«
    »Direkt in der Pembridge Road«, erklärte Wexford. »Er selbst hatte bloß dieses elende Zimmer, aber für sie zahlte er die Miete für eine ganze Wohnung. Kein Zweifel, er liebt sie, obwohl es mir wirklich fernliegt, in bezug auf ihn sentimental zu werden.« Er nahm eine neue Flasche Whisky von der Anrichte, goß ein Glas für Howard ein, und dann kühn und entschlossen auch eins für sich selbst. »Soll ich dir die Sache erzählen?«
    »Gibt’s denn da noch viel zu erzählen? Mike Burden hat mich ja schon über die Identität dieser Frau informiert, über diese Morag Grey. Ich hab versucht, ihn zu bremsen, denn ich dachte mir, daß du es mir selbst erzählen wolltest.«
    »Mike Burden«, sagte sein Onkel, als das Feuer zu knistern und zu flackern begann, »hatte heute frei. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit wir uns gestern nachmittag auf dem Flughafen getrennt haben. Der kann dich gar nicht informiert haben, denn er weiß von nichts, außer – steht es womöglich schon in der Abendzeitung? In den Gerichtsnachrichten, meine ich?«
    »In den frühen Ausgaben jedenfalls nicht.«
    »Dann gibt es noch eine Menge zu erzählen.« Wexford zog die Vorhänge vor den Nebel draußen, der sich am Nachmittag wieder eingestellt hatte. »Was hat Mike denn gesagt?«
    »Daß es mehr oder weniger alles so gewesen sei, wie du es vermutet hattest, nämlich daß sie alle drei in diesem Lohnlistenbetrug drinsteckten. War es denn nicht so?«
    »Meine Theorie«, meinte Wexford, »hatte viel zu viele Löcher.« Er rückte seinen Sessel dichter an das Feuer. »Auch gut, sich so zu entspannen, was? Bist du nicht auch froh, daß du nicht wieder Wache schieben und nach West End Green rausfahren mußt?«
    »Ich muß es noch mal sagen, ich hab sehr wenig getan. Aber daß du mich jetzt zappeln läßt, das hab ich doch nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher