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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka
Autoren: Nina Blazon
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smaragdschwarzes Haar und eine Haut, die zu gleißen schien wie Schnee in der Sonne.
    * * *
    Trotz seiner Gedanken musste er kurz eingenickt sein, denn als er die Augen aufschlug, lag gespenstische Ruhe über dem Haus. Nicht einmal der Gehilfe röchelte mehr, sein Schlaf war so tief, dass Johannes überlegte, ob er vielleicht gestorben war. Im selben Moment drehte der Mann sich um und schnappte grunzend nach Luft. Sofort war Johannes hellwach. Es stand auf und schlich zum Fenster. Die Silhouette des Wachmanns zeichnete sich gegen die dämmrige Helligkeit ab. Johannes überschlug im Kopf die verschiedenen Möglichkeiten, in die Werkstatt zu kommen. Die Tür war verschlossen. Auf Derejews Befehl hatte Onkel Michael dem Wachposten sogar den Schlüssel überlassen müssen. Aber es gab kaum ein Schloss, das für Johannes ein großes Hindernis darstellte.
    Leise tastete er nach seinem Gürtel, an dem ein Werkzeug hing, das Marfa im Scherz »Sankt Petrus’ Schlüssel« genannt hatte. Damit würde er sogar das Himmelstor öffnen können, hatte sie gesagt. Oft verloren die Auftraggeber Schlüssel zu Truhen und Fächern – und dann war Johannes’ Werkzeug, das er in nächtelanger Arbeit erdacht und selbst hergestellt hatte, ein willkommener Gast im Haus. Wie einfach der Mechanismus war, wusste allerdings nur Johannes – es gab nicht viele Arten von Schlössern. »Du bist grundanständig, aber dein Schatten ist der eines Diebs«, war Marfas Meinung. Dennoch – heute würde ihm sein Werkzeug nicht viel helfen, es sei denn, es würde ihm gelingen, den Wachposten von der Tür wegzulocken.
    Natürlich konnte er auch über das Dach klettern, aber das würde zu viel Lärm machen. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, sich zur Rückwand des Gebäudes zu schleichen. Nur Johannes und Iwan wussten von dem gelockerten Brett, das lediglich an zwei Nägeln hing. Johannes hatte den Leibeigenen dabei beobachtet, wie er das Brett aus der Wand herausgehebelt hatte. Wie von Geisterhand verschwand er durch den Spalt, wenn er einen von Zar Peters Leuten in die Werkstatt kommen sah. Johannes hatte ihn niemals verraten. Es war immer nützlich, so hatte er sich gedacht, einen zweiten Ausgang zu haben.
    Johannes lächelte und machte sich auf den Weg. Eine Diele knarrte unter seinem Schritt und er hielt atemlos inne. Aber alle in der Stube schliefen beinahe so tief wie die Tote aus der Newa, die nebenan auf der Werkbank lag. Behutsam setzte Johannes den Fuß auf die Schwelle und drückte die Tür auf. Sie lag im Schatten und war von der Position des Wächters aus nur zu sehen, wenn dieser den Kopf weit nach links wandte. Flink huschte Johannes durch die Tür, sprang über die Stufen hinweg und lief geduckt an der Hauswand entlang. Unendlich laut erschien ihm das Geräusch seiner Schritte. Unter dem Fenster von Marfas und Onkel Michaels Kammer verweilte er und spähte nach dem zweiten Wachposten. Gerade war er um die Ecke gekommen und nestelte an seinem Degen. Johannes hielt die Luft an. Noch ein paar Schritte weiter und der Soldat würde ihn entdecken. Er hatte die Möglichkeit, einen Stein zu werfen, um ihn abzulenken. Allerdings war die Gefahr, dass der Wächter die Wurfbewegung aus dem Augenwinkel bemerkte, sehr groß. Vorsichtig versuchte er sich weiter an die Wand zu drücken und hoffte, der Mann würde nicht in seine Richtung blicken. Er hatte Glück. Irgendwo auf der anderen Seite der Werkstatt knackte es. Der Wächter horchte auf und wandte sich um. Diesen Augenblick nutzte Johannes, um mit wenigen Sätzen um das Haus zu huschen. Er hörte die Wächter sprechen, die nun um die Werkstatt herumgingen. Das war seine Chance. In dem Augenblick, als beide Soldaten außer Sichtweite waren, sprang er zur Rückwand der Werkstatt und hebelte mit einem flinken Griff das Brett heraus. Ein schmaler Spalt entstand, durch den er sich seitlich hindurchzwängen konnte.
    »Da hinten!«, rief ein Wächter. Schwere Schritte polterten heran. Johannes riss sich eine Schramme in den Arm, als er so schnell wie möglich durch den Spalt schlüpfte und das Brett wieder heranzog. Sein Herz schlug lauter als Onkel Michaels Zimmermannshammer. Mit stockendem Atem verharrte er. Schritte wurden lauter, dann, plötzlich, war Stille. Der Wächter musste nun genau vor dem Brett stehen. Johannes glaubte die Wärme seines Körpers durch das Holz hindurch zu spüren. Der Mann schien zu lauschen, dann murmelte er einen derben Fluch und entfernte sich wieder. Johannes atmete
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