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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka
Autoren: Nina Blazon
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feindselig sie ihn betrachteten. Marfa war aufgeregt wie ein Huhn und so besorgt, dass ihre Schroffheit in Feindseligkeit umschlug. Mit harschen Worten verscheuchte sie die Schaulustigen und trieb die Gehilfen zur Arbeit an. Erst gegen Mittag durften sie wieder in die Werkstatt.
    Johannes bemerkte, dass das Brett mit neuen, langen Nägeln wieder in die Gebäuderückwand geschlagen worden war. Er zuckte zusammen, als sein Onkel ihn grob am Arm fasste.
    »Die Nägel waren gelockert«, sagte Michael mit drohender Stimme. »Hast du davon gewusst?«
    Johannes schluckte und senkte den Kopf. »Ja«, gab er zu.
    Eine steile Zornesfalte erschien auf der Stirn seines Onkels, aber zumindest ließ er Johannes’ Arm los. »Wenn du mich jetzt belogen hättest, hätte ich dir nie wieder geglaubt. Iwan hat blonde Haare am Holz gefunden. Dem Herrgott sei Dank, dass er sie vor Derejews Leuten verborgen hat. Hast du gesehen, wer die Leiche rausgeschafft hat?«
    »Nein«, sagte Johannes mit fester Stimme.
    Sein Onkel blickte ihn prüfend an. Dann seufzte er und strich sich mit seiner schwieligen Hand über die Stirn. Er sah müde aus. »Nun«, meinte er schließlich. »Zumindest bist du ehrlich. Bete, dass diese Tote uns nicht mehr kostet, als wir je bezahlen können.«
    Noch nie hatte Johannes Marfa so blass gesehen. Verstohlen wischte sie sich über die geröteten Augen, nachdem sie einen Krug mit Kwass in die Werkstatt gebracht und ihn hart auf einem der Tische abgestellt hatte. Dankbar nahm Johannes das Getränk an. Inzwischen mochte er das trübe Gebräu, das aus gebackenem Brot, Hefe, Honig und Gewürzen zubereitet wurde, aber er hatte lange gebraucht, um sich an den seltsamen Geschmack zu gewöhnen.
    »Habt ihr gehört, was man redet?«, fragte Marfa an ihren Mann gewandt. Sie senkte die Stimme, aber Johannes konnte dennoch verstehen, was sie sagte. »Von Mord sprechen sie! Das Gerücht geht um, dass ein Ausländer das Mädchen geschändet und umgebracht hat und wir ihm geholfen haben die Spuren seiner Tat zu verwischen.«
    Michael stellte seinen Becher auf der Werkbank ab, wo gestern noch die Tote geruht hatte. »Arbeitergeschwätz«, knurrte er. »Lass sie reden. Solange Zar Peter nicht persönlich hier reinkommt und mich anklagt, wird uns nichts passieren.«
    Marfa biss sich auf die Lippen und schwieg.
    Gegen Abend rief Michael Johannes zu sich, damit er ihn zu den Bauten am linken Newaufer begleitete, dorthin, wo in Zukunft die Häuser der Adligen und Offiziere ihren Platz haben würden. Gerüste standen auf den unzähligen Baustellen, der Boden war festgestampft, man konnte bereits erkennen, dass sich an dieser Stelle schon in wenigen Jahren steinerne Straßen erstrecken würden. Bald würden in der neuen Stadt auch Hüttenwerke errichtet, Segeltuchwebereien für die Uniformen und Ziegelbrennereien.
    Der Bauleiter, der Johannes’ Onkel zu sich bestellt hatte, war ein hagerer, schlecht gelaunter Flame. »Da drüben«, sagte er, »muss der Flaschenzug hin. Morgen kommt eine Ladung Steine, die wir hier zum Fundament herüberhieven müssen. Schaffst du das, Brehm?«
    »Sicher«, knurrte Michael und wandte sich an Johannes und einen der Gehilfen. »Geht und holt Seile.«
    Sein Gesicht war unbewegt, aber Johannes konnte sehen, dass der Ärger in Michaels Adern brodelte. Viel zu oft spannten ihn die Baumeister für solche Hilfsarbeiten ein, obwohl er weit und breit der beste Gerüstbauer war. Dennoch – die Befehle galten auch für ihn. Jeder war dazu da, zu tun, was ihm befohlen war, jede Arbeitskraft wurde gebraucht, um Zar Peters neue Stadt zu erschaffen.
    Gerade waren sie damit fertig, das Gerüst für den Flaschenzug mit Querbalken und Holzwinkeln zu verkanten, als einer von Derejews Leuten hoch zu Ross auf die Baustelle stürmte. Johannes glaubte in ihm einen der Männer zu erkennen, die vor der Werkstatt Wache gehalten hatten. Der Mann schien offenbar nicht für seine Nachlässigkeit bestraft worden zu sein, was erstaunlich war. Johannes betrachtete ihn genau, während dieser eine Papierrolle hervorzog. Unwillkürlich suchte Johannes nach Anzeichen, dass der Soldat geprügelt worden war. Manchmal bemerkte man eine Strafaktion daran, dass die Leute sich ungelenk bewegten oder das Gesicht verzogen, wenn die Prellungen und Wunden auf dem Rücken schmerzten, aber dieser hier saß völlig entspannt auf seinem Pferd und begann nun mit lauter Stimme zu lesen. Seine Stimme trug weit über den Platz und brachte auch die letzte
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