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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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Mann auf der ersten Pritsche, die mit Leinen gedeckt war, nicht friedlich. Sein schwarzes Borstenhaar war völlig zerrauft, und seine Kleider waren schweißbefleckt; er mahlte in seinen Träumen mit den Kieferknochen, und seine Hände ballten sich immer wieder zuckend zu Fäusten. Dicke Verbände bedeckten eine Wunde an seiner Wade und eine weitere an seiner Seite.
    Leferic kannte diesen Mann: Brys Tarnell, einer der Ritter, die auf seinen Bruder vereidigt waren, nicht lange vor Galefrids Tod in Dienst genommen. Albric hatte ihn nie gemocht und ihn als einen emporgekommenen Söldner mit der Ehre einer Straßenkatze bezeichnet. Alles wahr, soweit Leferic sehen konnte, aber der Mann lebte, während Galefrid und seine anderen Ritter tot waren, also sagte das vielleicht etwas über Straßenkatzen aus.
    Das Mädchen auf dem anderen Bett kannte er nicht. Es sah aus, als stamme es von Bauern ab: schwielige Hände, dicke Beine, ein breites, reizloses Gesicht. Keine Spur von Schönheit an ihm, außer in den großen, braunen Augen. Sie sah ihn mit der Furcht eines Rehs an, das von Hunden gehetzt wurde. In den Armen hielt sie einen Säugling, und sie summte ein Wiegenlied, als Leferic an das Fußende ihres Bettes trat.
    Leferic musterte den Säugling eingehend. Brys Tarnell war mit Galefrid in Weidenfeld gewesen, und es gab nur ein einziges Kind auf dieser Welt, für dessen Schutz ein so ehrloser Mann die eigene Haut riskieren würde.
    Er erinnerte sich kaum an das Gesicht seines Neffen. Kinder dieses Alters sahen alle ziemlich gleich aus, und er hatte Galefrids Familie nie große Beachtung geschenkt. Aber warum sonst sollte ein Söldner gegen Ghaole kämpfen, um einen Säugling zu retten? Bei dem Kind musste es sich um Wistan handeln.
    Die Absurdität des Ganzen weckte in ihm den Wunsch zu lachen. Oder auf etwas einzuschlagen. All seine Pläne, all das qualvolle Bemühen, all diese Toten … und er hätte bloß darauf warten müssen, dass ein Bauernmädchen das Kind nach Hause brachte.
    Oder auch nicht. Vielleicht wäre es ohne diese Ghaole auf der Straße anders gekommen. Wie sehr wurde die Welt durch jedes gesprochene Wort, durch jede getroffene Entscheidung verändert? Wie viele Wellen schlug jeder Tropfen auf einem Teich, auf den der Regen prasselte? Leferic würde es niemals wissen. Was er wusste, als er das Bauernmädchen und den Säugling betrachtete, der in ihren Armen schlief, war, dass er die Gelegenheit hatte, eine der unzähligen Bedrohungen, die ihn plagten, loszuwerden. Die Gesegnete hatte bereits erklärt, dass das Kind unter den Strapazen der Reise gelitten habe; es wäre das Einfachste auf der Welt, den Knaben auf das Fenstersims zu legen, damit er sich eine tödliche Erkältung zuzog, und ihn dann wieder zurückzubringen, damit man ihn am nächsten Morgen tot auffand.
    Sollte er es heute Nacht tun? Oder bis morgen Abend warten und zuvor sowohl Brys als auch das Mädchen mit Traumblumenstaub betäuben?
    Das Mädchen hörte auf zu summen. Leferic sah sie an und fragte sich, ob sich in seinem Gesicht ein Hinweis auf seine Absichten zeigte. Sie beobachtete ihn argwöhnisch und drückte sich den Säugling fest an die Brust. »Mylord?« Ihr Akzent war langmyrnisch und ließ auf eine so niedrige Abkunft schließen, wie er vermutet hatte.
    Leferic schüttelte sich innerlich. Das Mädchen hatte nichts getan, um ihn zu kränken, und sie war Gast unter seinem Dach. Dass er plante, das Kind in ihren Armen zu töten, war kein Grund, ihr gegenüber unhöflich zu sein. Er verneigte sich leicht und sprach die uralten Grußworte: »Sei willkommen unter meinem Dach! Möge die Strahlende deine Anwesenheit in meinen Hallen segnen.« Mit einem leichten, beruhigenden Lächeln fügte er hinzu: »Es war ein langer Weg hierher, nicht wahr?«
    »Ja.« Ein wenig ließ ihre Wachsamkeit nach, aber das Mädchen wirkte immer noch wie ein Reh, das jeden Moment in wilder Panik davonspringen konnte. »Wir sind Euren Männern dankbar, dass sie uns hergebracht haben. Ohne sie wären wir wahrscheinlich alle tot.«
    »›Weil die Straße lang und dunkel ist und kein Mann sich sicher fühlen kann‹«, zitierte Leferic. »Es war einer deiner Landsleute, der diese Zeilen niedergeschrieben hat, nicht wahr?«
    Die Miene des Mädchens verschloss sich, als hätte sie ihn in Verdacht, dass er über ihre Unwissenheit spottete. Sie sah auf das Kind hinab. »Kann sein. Ich weiß es nicht, Mylord.«
    »Stimmt schon. Casubel vom Felsenhügel, einer der
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