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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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zurückgelassen hatte. Was immer geschah, ein Verlangen, ein Zweck war stets vorhanden.
    Bitharn atmete aus und begann zu beten.

20
    Der Bote kam um Mitternacht. Er trug auf der Brust die königliche Krone und Sonne und reiste unter einer Friedensflagge, die angesichts der Spannungen entlang der Grenze überraschenderweise von beiden Seiten beachtet worden war. Was er zu sagen hatte, wusste niemand in Bullenmark, obwohl von dem Moment seines Auftauchens an wilde Gerüchte kursierten. Leferic hörte seine Diener und nicht wenige seiner Ritter wie Schaben in den Binsen tuscheln. Das Getuschel erlosch, wenn er in die Nähe kam, und flammte wieder auf, sobald er vorüber war.
    Der Bote sprach kurz mit Leferic in der Ungestörtheit seiner Bibliothek und war vor Tagesanbruch wieder verschwunden. Er ließ zwei versiegelte Briefe zurück; einer der Diener erhaschte einen Blick auf beide, bevor Leferic sie in seinen Umhang steckte, und das entfachte wiederum Gerüchte, vor allem da ihr Lord niemandem verriet, was in den Briefen stand.
    Welcher Natur die Neuigkeit auch war, sie musste zutiefst beunruhigend sein, da waren sich die Klatschbasen einig. Zwei Tage und zwei Nächte danach tat Leferic kein Auge zu. Er magerte ab und wurde schwerfällig, und die Burgbewohner murmelten, dass der Bote ihn mit derselben abscheulichen Magie verhext haben müsse, die seinen Bruder getötet und aus seinem Vater eine seelenlose Hülle gemacht hatte. Mehrere Leute murrten, dass man dem Langmyrner einen schnellen Tod bescheren und ihn auf den Scheiterhaufen schicken solle, statt ihn davonreiten zu lassen, Friedensfahne hin oder her.
    Heldric vermeldete all diese Gerüchte seinem Lord, aber Leferic unternahm nichts. Gerüchte sind ins Ohr geträufeltes Gift, hatte Inaglione geschrieben, und können tödlich sein, wenn sie nicht schnell geheilt werden. Darin lag viel Wahres, das wusste Leferic, aber Trauer und Unentschlossenheit schwächten ihn so sehr, dass er darauf nicht reagieren konnte. Er begriff allmählich, warum sein Vater sich stumm ins Bett zurückgezogen hatte.
    Dann traf früh am Morgen des dritten Tages frierend ein neuer Bote ein. Er kam aus dem Norden, nicht über den Fluss von Westen, und trug König Raharics grünen Eichenkranz auf einem schneeweißen Umhang. Im Gegensatz zum letzten Ritter blieb dieser den Tag über in der Burg; und während er dort verweilte und Höflichkeiten mit den Rittern und Dienern austauschte, verbreitete sich die Kunde von seinen Neuigkeiten. Auf diese Weise erkannten die Menschen von Bullenmark allmählich die wahre Gestalt der Dinge.
    Oder zumindest bildeten sie es sich ein, dachte Leferic mürrisch, während er an dem Schreibtisch in seiner Bibliothek saß, der mit Papieren übersät war. Die Bürde der Schuld an der echten Wahrheit musste er allein tragen.
    Er strich sich mit einer Hand durch das schlaffe blonde Haar und versuchte, seinen Gedanken so etwas wie eine Ordnung aufzuzwingen. Eigentlich sollte er sich auf die Begegnung mit Raharics Boten vorbereiten, aber der königliche Herold hatte Nachricht geschickt, dass er von seinen Reisen erschöpft sei und es vorziehen würde, die förmliche Audienz auf den morgigen Tag zu verschieben.
    Der wahre Grund für die Verzögerung, so argwöhnte Leferic, war der, dass der Herold diese Zeit nutzte, um still und leise Leferics Lehnsleute auszuforschen und zu erkunden, wie sie auf die Neuigkeit von Albrics Verrat reagiert hatten. Er fragte sich, was der Bote von der Tatsache halten würde, dass die meisten nichts davon gehört hatten. Die Ritter für ihren Teil würden wahrscheinlich annehmen, dass Leferic deshalb zauderte, ihnen Albrics Geständnis mitzuteilen, weil er in die Pläne des Mannes eingeweiht gewesen war. Sie hatten ohnehin schon wenig Liebe für ihn übrig: Da fiel es leicht zu glauben, er sei Teil einer verräterischen Verschwörung gewesen.
    In diesem Punkt hätten sie natürlich recht gehabt. Was einer der Gründe war, warum die Angelegenheit so schwierig war.
    Leferic raufte sich abermals die Haare. Sein Blick wanderte zu den Büchern hinüber, die an sämtlichen Wänden die Regale füllten. Fast dreihundert Bände mit Forschungsergebnissen von Gelehrten und der Weisheit von Philosophen, mit Geschichten und Legenden, religiösen Vorschriften und säkularem Scharfsinn.
    Dreihundert Bände und keine Antworten.
    Selbst Inaglione, der weiseste und zynischste aller Höflinge, konnte über die Kluft der Jahrhunderte und das große Schweigen
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