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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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gutes Pferd und schon lange bei ihm. Brys hatte sich nie die Mühe gemacht, ihm einen Namen zu geben, und für einen Moment bedauerte er das; es wäre schön gewesen, jetzt einen Namen zu haben, den er hätte flüstern können, während er das Tier aus seiner Box führte.
    Er nahm auch Caedrics graue Stute mit. Sie hatte einen Namen: Ellyria, nach einer legendären Tänzerin des alten ardasischen Reichs. Caedric hatte oft gesagt, seine graue Stute habe einen so anmutigen Schritt, dass sie den Namen einer Tänzerin verdiene.
    Caedric war jetzt tot, und Brys konnte ein Pferd mit einem schnellen Schritt gebrauchen.
    Die anderen Tiere ließ er in ihren Boxen zurück. Zwei Pferde würden ihm vielleicht helfen, auf der Straße besser voranzukommen, aber mehr würden bloß Probleme bringen, außerdem würde er damit auffallen. Und obwohl Brys sich eher die Zunge abgebissen hätte, als es laut einzugestehen, widerstrebte es ihm, Gefährten zu bestehlen, die vielleicht doch überleben würden. Nun gut, es bestand die denkbar geringste Hoffnung, dass irgendjemand dem Hinterhalt in der Kapelle entkommen konnte, aber nicht er wollte es sein, der selbst diese Hoffnung zunichtemachte. Nicht, nachdem er bereits die beiden Pferde hatte, die er brauchte.
    Brys packte die Zügel fester und drückte die Stalltüren auf. Rauch lag in einem grauen Schleier über der Kapelle und erhob sich von mehreren Gebäuden in der Nähe. Keines war richtig in Brand geraten, aber das Feuer breitete sich aus.
    Beim Klang nahender Schritte richtete er seine Aufmerksamkeit sofort wieder auf die Straße. Er hielt sein Schwert für den tödlichen Streich bereit und duckte sich hinter die halb geöffnete Tür.
    Es war jedoch weder ein Bogenschütze noch ein Schwertkämpfer, der durch den Rauch geschlurft kam, sondern eine Frau, die ein Bündel Decken in den Armen trug. Ihr Gesicht war weiß und schmerzverzerrt; ihre Unterlippe glänzte rot, wo sie sie durchgebissen hatte. Der Schaft eines Pfeils ragte ihr aus dem Rücken, direkt über der Hüfte, und Blut färbte die Röcke ihres schlichten Dienerinnenkleides in einem breiten, nassen, dunklen Streifen.
    Als sie die Türen erreichte, packte Brys sie am Ellbogen und riss sie herein. Sie leistete keinen Widerstand, gab keinen Laut von sich. Sie hatte keine Kraft mehr zum Schreien.
    Er erinnerte sich vage an sie. Sie war eine der Mägde, die sich seit ihrer Abreise aus Bullenmark eifrig um Sir Galefrids Gemahlin und ihren neugeborenen Sohn gekümmert hatte. Brys, der häuslichen Dingen lieber aus dem Weg ging, wann immer es möglich war, hatte nie mit der Frau gesprochen. Er konnte sich nicht einmal auf ihren Namen besinnen.
    Bei ihr war das anscheinend anders.
    »Brys Tarnell?«, flüsterte sie, und als er nickte, brachte sie den blassen Schatten eines Lächelns zustande, das ihre Augen jedoch nicht erreichte. Nur der Schmerz erreichte ihre Augen.
    Taumelnd vor Anstrengung drückte sie ihm die verknoteten Decken in die Hand. Instinktiv machte Brys einen Schritt nach vorn und fing das Bündel auf, bevor es ihr entglitt. Dann sah er, was darin lag, und hätte es beinahe selbst fallengelassen.
    Eingewickelt in die Decken war ein Baby. Ein Baby mit einem von Tränen geschwollenen Gesicht, rot und rund wie eine Mitsommerpflaume. Ein Baby, das er auch ohne das lackierte Medaillon in den Windeln erkannte – ein viel zu schweres Medaillon an einer viel zu alten Kette für einen Säugling, der noch kein Jahr gesehen hatte.
    »Wistan?«, fragte er einfältig.
    Die Frau nickte. Das Kinn sackte ihr auf die Brust; ihr zustimmendes Nicken wirkte bei jedem Mal schwerfälliger. »Ich habe ihn nach draußen getragen. Er hat in der Kapelle geweint … Ich bin mit ihm hinausgegangen, um ihn zu beruhigen, das arme, pietätlose Ding, und das hat ihn gerettet. Es ist sonst niemand mehr da. Niemand.« Sie wischte sich Tränen vom Kinn; die Anstrengung war so groß, dass sie sich haltsuchend an die Wand lehnen musste. Blut benetzte das raue Holz, wo sie sich mit der Hüfte dagegenlehnte. »Ich hatte auf ein Pferd gehofft, aber ich habe nicht die Kraft zu reiten. In Bullenmark wird er sicher sein. Nur dort. Bitte. Beschützt ihn.«
    »Das werde ich.« Die Worte waren heraus, bevor Brys begriff, dass er den Mund geöffnet hatte. Er hielt inne, sah jedoch keine Notwendigkeit, seine Worte zurückzunehmen. Er bewegte das Deckenbündel ein wenig und schaute auf das Baby hinab, das leise, aber stetig wimmerte. Eine große Gefahr, aber auch
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