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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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des Scheiterhaufens hinweg nur begrenzten Rat bieten. An jenem ersten Tag, nachdem Leferic von Galefrids Tod erfahren hatte, war er in die Bibliothek gegangen und hatte erkannt, dass er sich auf seinen eigenen gänzlich unzulänglichen Verstand verlassen müsste, wenn er überleben wollte. Es war kein neuer Gedanke. Aber er war noch nie zuvor von derart brutaler Notwendigkeit gewesen.
    Jetzt erkannte er zum ersten Mal, wie einsam der Pfad war, den er gewählt hatte.
    Er hatte keine Freunde auf dieser Straße, keine engen Vertrauten. Sein einziger Führer war der Schatten eines toten Höflings, der ihm über die Kluft von Zeitaltern hinweg Ratschläge erteilte.
    Jedwede Freunde, die er gewinnen mochte, würden irgendwann den Zwängen seiner Position geopfert werden müssen. Leferic wusste nicht, ob er das noch einmal ertragen könnte, selbst wenn ihm die Entscheidung offen stünde. Besser, seine Freundschaften auf Bücher und Geister zu beschränken. Besser, einsam zu sein und sich an den wahren Preis der Macht zu erinnern: Dass jede Person in seinem Leben, ganz gleich, wie loyal sie war oder wie sehr sie ihn liebte, einen Bauern auf dem Schachbrett darstellte, den er eines Tages vielleicht würde opfern müssen. Jede.
    Er glaubte, das zu verstehen, glaubte, er habe es mit Galefrids Tod akzeptiert. Aber sein Bruder hatte ihm nicht viel bedeutet, und Leferic erkannte jetzt, dass er nichts begriffen hatte.
    Der langmyrnische Bote hatte nicht nur die Nachricht des Lordgenerals und die Kopie eines Gebetbuchgeständnisses abgeliefert. Er hatte eine unerwünschte Wahrheit mitgebracht, die Leferics Gedanken umkreisten wie ein Spatz, der versuchte, auf einem spindeldürren Baumstamm einen Schlafplatz zu finden.
    Der einzige Ausweg aus seiner Zwangslage bestand darin, Albric die Schuld für ein Verbrechen in die Schuhe zu schieben, an dem der Ritter völlig schuldlos war. Die Sünden waren die Sünden Leferics, nur die seinen. Aber er würde sie auf dem Leichnam seines Freundes abladen müssen, wenn er seinen Thron behalten wollte. Oder seinen Kopf.
    Und Albric hatte das gewusst und die Schuld mit offenen Armen angenommen, bevor er gestorben war.
    Leferic kämpfte darum, die Ungeheuerlichkeit dieser Entscheidung zu erfassen. Albric hatte ihn vor den Verstümmelten Hexen gewarnt, seit sie ihren ersten Plan ausgeheckt hatten. Als seine Warnungen auf taube Ohren gestoßen waren, hatte Albric Tod und Ehrlosigkeit als Preis hingenommen, um Leferic vor seiner eigenen Torheit zu schützen. Er hatte nicht gegen sein Schicksal gekämpft, hatte sich nicht beklagt; er hatte es einfach getan und sich pflichtschuldig geopfert, was Leferic niemals von ihm gewollt hatte.
    Und Leferic würde es dabei bewenden lassen müssen. Er konnte nichts gegen die Befleckung von Albrics Ehre unternehmen, ohne den Verdacht auf sich selbst zu lenken, und dann wäre dieses Opfer wertlos. Er hatte wenig übrig für den oberflächlichen Gebrauch des Wortes »Ehre«, aber Albric war das Wort teuer gewesen, und es war eine traurige Ironie, dass er seine Ehre verlieren sollte, um die seines Lords zu retten.
    Trotzdem reichte es vielleicht nicht aus. Selbst wenn Leferic untätig blieb, selbst wenn er sich der Meute anschloss, die auf den guten Namen seines Freundes spuckte, konnten seine Lehnsmänner das Ereignis als Vorwand nutzen, sich seiner zu entledigen. Sie würden behaupten, er habe sich blind gestellt gegen Albrics Pläne und dem Verrat seinen Lauf gelassen, damit er den Thron ergreifen konnte. Oder sie würden sagen, man habe ihm den Stuhl seines Vaters nur deshalb zugestanden, weil er eine Marionette Ang’artas sei und sich jeder Laune der Dornen beuge.
    Mit mehr Zeit hätte er sie auf seine Seite ziehen können, so wie er Sir Brisic und Sir Merguil auf seine Seite gezogen hatte. Da war Leferic sich gewiss. Nach und nach konnte er alte Bündnisse zerschlagen, alte Feindschaften ausnutzen, tüchtige Männer auf seine Seite bringen und Dummköpfe durch treue Gefolgsleute ersetzen. Aber dazu brauchte er Zeit und Geld. Gegenwärtig hatte er keins von beidem. Ohne diese Dinge führten alle Straßen zum selben Ziel: einem Verlust der Macht, vielleicht auf den Richtblock. All diese Tode, umsonst.
    Albric hatte ihm eine Chance erkauft, keine Gewissheit. Seine Gedanken kreisten um diesen Punkt und versuchten, einen sicheren Ort inmitten der unzähligen Widerhaken zu finden, und scheiterten, scheiterten jedes Mal.
    Es klopfte an der Tür. Leferic ließ den Kopf
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