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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Quälte mich tödlich. Die Ärzte verboten mir das Studieren. Aber die Mädchen aus meinem Zimmer sagten, ich solle die Ärzte vergessen, und übernahmen eine stillschweigende Patenschaft über mich. Jeden Abend schleppten sie mich abwechselnd ins Kino, in Komödien. ›Du musst viel lachen‹, redeten sie auf mich ein. Ob ich wollte oder nicht – ich musste. Es gab nicht viele Komödien, und ich hab jede wohl hundertmal gesehen. Die erste Zeit klang mein Lachen wie Weinen ...
    Aber die Albträume ließen nach. Ich konnte studieren ...«
    Tamara Ustinowna Worobejkowa , Untergrundkämpferin
    »Wenn ich anfange, vom Krieg zu erzählen ... Da stockt mir das Herz ...
    Es starben so junge Männer ... Im Frühling ... Ich erinnere mich, im Frühling, vor allem, wenn die Gärten blühten, war es besonders schlimm, Menschen zu begraben. An blühende Blumen auf den Wiesen erinnere ich mich nicht, aber an die weißen Gärten. Im Krieg gab es so wenig Weiß ... Selbst wenn Ihnen das schon erzählt wurde, schreiben Sie es trotzdem noch einmal auf. Die Erinnerung daran ist sehr stark ...
    Zweieinhalb Jahre war ich an der Front. Meine Hände haben Tausende Verbände angelegt, Tausende Wunden ausgewaschen ... Ich habe verbunden und verbunden ... Einmal ging ich mein Kopftuch wechseln, lehnte mich an den Fensterrahmen und döste kurz ein. Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich ausgeruht. Der Arzt beschimpfte mich. Ich verstand nicht ... Bevor er ging, brummte er mir drei Strafdienste außer der Reihe auf, und meine Kollegin erklärte mir, was los war: Ich war über eine Stunde weg gewesen. Ich war eingeschlafen.
    Es ist kein Wunder, dass es jetzt mit meiner Gesundheit so schlecht steht und mit meinen Nerven. Wenn ich gefragt werde: ›Was für Auszeichnungen haben Sie?‹, geniere ich mich zu gestehen, dass ich keine Auszeichnungen besitze, ich habe keine abbekommen. Vielleicht, weil wir so viele waren und weil jeder im Krieg nach bestem Gewissen seine Arbeit tat. Man konnte ja nicht alle auszeichnen! Aber die größte Auszeichnung gehört uns allen gemeinsam: der neunte Mai. Der Tag des Sieges! Meine Freundin ist nach vierzig Jahren am Tag des Sieges gestorben. Dieser Tag war zu viel für ihr Herz ... Unser Tag ...
    Ich erinnere mich ... In unserer Einheit gab es einen merkwürdigen Vorfall. Ein Hauptmann starb am ersten Tag, als wir deutschen Boden betreten hatten. Alle seine Angehörigen waren umgekommen. Er war ein tapferer Mann, und er hatte so darauf gewartet ... Auf diesen Tag ... Darauf, ihre Erde zu sehen, ihren Kummer, ihr Leid. Wie sie weinen. Ihre Ruinen ... Er starb einfach so, er war nicht verwundet, nichts. Er erreichte sein Ziel, schaute sich um – und starb ... Ich frage mich noch heute manchmal: Warum ist er gestorben?«
    Tamara Iwanowna Kurajewa , Krankenschwester
    »Ich bat sofort um Versetzung an die vorderste Linie, gleich nach der Ankunft. Eine Einheit marschierte vorbei, der schloss ich mich an. Damals dachte ich, von der vordersten Linie komme ich wenigstens einen Tag früher nach Hause als aus dem Hinterland. Zu Hause hatte ich nur meine Mutter. Unsere Mädchen erinnern sich noch heute: ›Sie blieb nicht gern in der Sanitätskompanie.‹ Das stimmt, wenn ich in die Sanitätskompanie kam, wusch ich mich schnell, schnappte mir ein paar Sachen, und dann ging’s wieder zurück in den Schützengraben. An die vorderste Kampflinie. An mich selbst dachte ich nicht. Kriechen, rennen ... Nur der Geruch von Blut ... An den Geruch von Blut konnte ich mich nicht gewöhnen ...
    Nach dem Krieg war ich Hebamme auf einer Entbindungsstation, aber das konnte ich nicht lange. Ich reagierte allergisch auf den Geruch von Blut, mein Organismus konnte ihn einfach nicht vertragen. Ich hatte im Krieg so viel Blut gesehen, dass ich es nicht mehr ertrug. Mehr vertrug mein Organismus nicht ... Ich ging weg von der Entbindungsstation. Zum medizinischen Notdienst. Ich hatte Nesselsucht und Atemnot.
    Einmal nähte ich mir eine Bluse aus rotem Stoff, am nächsten Tag hatte ich komische Flecke auf den Armen. Bläschen. Ich konnte kein Blut, keinen roten Batist, keine roten Blumen, ob Rosen oder Nelken, mehr vertragen ... Nichts Rotes ...«
    Maria Jakowlewna Jeshowa ,
    Gardeleutnant, Zugführerin eines Sanitätszuges
    »Als der Krieg vorbei war ... Da hatte ich lange ein eigenartiges Verhältnis zum Tod ...
    In Minsk fuhr die erste Straßenbahn wieder, und ich saß in dieser Straßenbahn. Plötzlich hielt die Bahn, alle schrien, die
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