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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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verwundeter deutscher Soldat gebracht. Ich glaube, er war Flieger. Seine Hüfte war zerschmettert, und er bekam Wundbrand. Irgendwie hatte ich Mitleid mit ihm. Er lag da und schwieg.
    Ich konnte ein bisschen Deutsch. Ich fragte ihn: ›Trinken?‹
    ›Nein.‹
    Die anderen Verwundeten wussten, dass ein deutscher Verwundeter im Zimmer lag. Er lag einzeln. Wenn ich zu ihm ging, waren sie empört.
    ›Was, Sie bringen dem Feind Wasser?‹
    ›Er liegt im Sterben ... Ich muss ihm helfen ...‹
    Sein Bein war ganz blau, man konnte nichts mehr tun. Die Blutvergiftung frisst den Menschen im Nu auf, binnen eines Tages.
    Ich gab ihm Wasser, er sah mich an und sagte plötzlich: ›Hitler kaputt!‹
    Das war zweiundvierzig. Wir waren bei Charkow eingeschlossen.
    Ich fragte: ›Warum?‹
    ›Hitler kaputt!‹
    Daraufhin sagte ich zu ihm: ›Das denkst und sagst du jetzt, weil du hier liegst. Aber dort tötet ihr ...‹
    Er: ›Ich habe nicht geschossen, ich habe nicht getötet. Ich wurde gezwungen. Aber ich habe nicht geschossen ...‹
    ›Das behauptet jeder, wenn er in Gefangenschaft gerät.‹
    Plötzlich bat er mich: ›Bitte, bitte, Frau ...‹ Und gab mir ein Päckchen Fotos. Er zeigte darauf: Seine Mutter, er selbst, seine Brüder, seine Schwestern ... Schöne Fotos. Auf die Rückseite eines Fotos schrieb er eine Adresse. ›Sie werden dort sein. Bestimmt!‹ Das sagte dieser Deutsche zweiundvierzig vor Charkow. ›Dann werfen Sie das bitte in einen Briefkasten.‹
    Ich habe diese Fotos lange bei mir getragen. Ich war traurig, als ich sie bei einem Bombenangriff verlor. Der Umschlag verschwand, als wir schon in Deutschland waren ...«
    Lilija Michailowna Butko , Chirurgie-Schwester
    »Ich erinnere mich an ein Gefecht ...
    In diesem Gefecht machten wir viele Gefangene. Darunter auch Verwundete. Wir verbanden sie. Es war sehr heiß. Wir fanden einen Teekessel, gaben ihnen zu trinken. Wir lagen auf freiem Feld, wurden beschossen. Wir bekamen den Befehl, uns schnell einzugraben, uns zu tarnen.
    Wir hoben Schützengräben aus. Die Deutschen sahen zu. Wir erklärten ihnen: Na los, helft mit, ran an die Arbeit. Als sie begriffen, was wir von ihnen wollten, sahen sie uns entsetzt an: Sie dachten, wenn die Gruben fertig sind, würden wir sie davorstellen und erschießen. Sie nahmen an, dass wir mit ihnen genauso umgehen würden, wie sie mit unseren Gefangenen umgingen. Sie hätten sehen sollen, mit welcher Angst sie gruben ... Mit was für Gesichtern ...
    Als sie dann sahen, dass wir sie verbanden, ihnen Wasser zu trinken gaben und sie in den Schützengräben, die sie ausgehoben hatten, in Deckung gehen sollten, waren sie völlig verwirrt ... Da sah ich bei ihnen zum ersten Mal menschliche Augen ...«
    Nina Wassiljewna Iljinskaja , Krankenschwester
    »Der Krieg ging zu Ende ... Wir mussten lernen, Erbarmen zu haben ... Aber woher sollte das Erbarmen kommen?
    Der Politstellvertreter rief mich zu sich.
    ›Vera Iossifowna, Sie müssen sich um deutsche Verwundete kümmern.‹
    Zu der Zeit waren schon zwei Brüder von mir gefallen.
    ›Das tue ich nicht.‹
    ›Aber es muss sein, verstehen Sie.‹
    ›Das schaffe ich nicht, zwei Brüder von mir sind gefallen – ich kann sie nicht sehen, ich könnte sie eigenhändig erstechen, aber doch nicht behandeln. Verstehen Sie doch ...‹
    ›Das ist ein Befehl.‹
    ›Wenn es ein Befehl ist, dann füge ich mich. Ich bin Soldat.‹
    Ich behandelte diese Verwundeten, tat alles, was nötig war, aber es fiel mir schwer. Sie zu berühren, ihre Schmerzen zu lindern. Damals entdeckte ich bei mir die ersten grauen Haare. Eben in dieser Zeit. Ich tat alles für sie: Operieren, Füttern, Schmerzen lindern. Alles, was zu tun war. Nur eines brachte ich nicht über mich: die Abendvisite. Morgens musste man verbinden, den Puls fühlen, kurz, da war man Arzt, aber bei der Abendvisite musste man mit den Patienten reden, sie fragen, wie sie sich fühlten. Das konnte ich nicht. Verbinden und operieren, das ja, aber mit ihnen reden – nein. Das sagte ich dem Politstellvertreter auch gleich: ›Die Abendvisite übernehme ich nicht ...‹« Vera Iossifowna Chorewa , Militärchirurgin
    »In Deutschland ... Da gab es in unseren Lazaretten schon viele deutsche Verwundete ...
    Ich erinnere mich an meinen ersten deutschen Verwundeten. Er hatte Wundbrand, sein Bein wurde amputiert ... Er lag in meinem Zimmer ...
    Am Abend sagte jemand zu mir: ›Katja, sieh mal nach deinem Deutschen.‹
    Ich ging hin. Vielleicht hatte
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