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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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kam vor ... Bei uns verliebte sich ein Offizier in ein deutsches Mädchen. Er wurde degradiert und ins Hinterland geschickt.
    Ich erinnere mich an eine vergewaltigte Deutsche. Ganz nackt lag sie da ... Eine Granate zwischen den Beinen ...
    Aber darüber sollte man vielleicht lieber nicht ...«
    A. Ratkina , Telefonistin
    »Die Heimaterde war befreit ... Sterben wurde völlig unerträglich, jemanden zu begraben wurde unerträglich. Sie starben auf fremder Erde, wurden in fremder Erde begraben. Man erklärte uns, der Feind müsse endgültig zerschlagen werden. Der Feind sei noch gefährlich ... Das verstanden alle ... Aber sterben mochte niemand ... Trotz allem ...
    Ich erinnere mich an viele Plakate am Wegrand, sie sahen aus wie Kreuze. ›Hier ist das verfluchte Deutschland!‹ An dieses Plakat erinnert sich jeder ...
    Alle hatten auf diesen Augenblick gewartet ... Jetzt werden wir verstehen ... Werden sehen ... Woher kommen sie? Wie sieht ihre Erde aus, wie sehen ihre Häuser aus? Sind sie etwa ganz normale Menschen? Führten sie ein ganz normales Leben? An der Front konnte ich mir nicht vorstellen, je wieder Heine-Gedichte zu lesen. Oder meinen geliebten Goethe ... Ich würde nie mehr Wagner hören können ... Vor dem Krieg, ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen, liebte ich die deutsche Musik – Bach, Beethoven. Das alles strich ich aus meiner Welt. Dann sahen wir, dann zeigte man uns Krematorien ... Das Lager Auschwitz ... Berge von Frauenkleidern, Kinderschuhen ... Graue Asche ... Von Menschen ... Was von ihnen übrig war ... Sie brachten sie auf die Felder, düngten Kohl damit und Salat ...
    Und nun waren wir auf ihrem Boden ... Das Erste, was uns verblüffte, waren die guten Straßen. Die großen Bauernhäuser. Tüll, weiße Vorhänge ... Blumentöpfe, selbst in Schuppen, und hübsche Vorhänge. Weiße Tischdecken ... Teures Geschirr ... Wir konnten nicht verstehen: Warum waren sie in den Krieg gezogen, wenn es ihnen so gut ging? Bei uns lebten die Menschen in Erdhütten, sie dagegen hatten weiße Tischdecken. Tranken aus Porzellantassen ... Ach ja, noch eine Erschütterung habe ich ganz vergessen, das war früher. Als wir auf dem Vormarsch waren, die ersten deutschen Schützengräben, die wir eroberten ... Wir sprangen hinein, und wenn es Morgen war, dann war in den Thermoskannen der Kaffee noch heiß. Brot. Weiße Laken ... Wir hatten das alles nicht. Wir schliefen auf Stroh, auf Reisig. Manchmal waren wir zwei, drei Tage ohne warmes Essen. Unsere Soldaten schossen auf diese Thermoskannen ... Auf diesen Kaffee ...
    In deutschen Häusern habe ich später zerschossenes Kaffeegeschirr gesehen. Blumentöpfe. Kissen ...
    Wir verstanden nicht, woher ihr Hass kam. Unserer war verständlich. Aber ihrer?
    Wir durften Päckchen nach Hause schicken. Seife, Zucker. Manche schickten Schuhe, die Deutschen hatten solides Schuhwerk, Uhren, Ledersachen. Ich konnte nicht. Ich wollte nichts von ihnen nehmen, obwohl ich wusste, dass meine Mutter und meine Schwestern bei fremden Leuten wohnten. Unser Haus war verbrannt. Als ich heimkehrte, erzählte ich meiner Mutter davon. Sie umarmte mich und sagte: ›Ich hätte von denen auch nichts nehmen können. Sie haben unseren Papa getötet.‹
    Einen Band Heine nahm ich erst zwanzig Jahre nach dem Krieg wieder in die Hand ...«
    Aglaja Borissowna Nesteruk , Unterfeldwebel,
    Nachrichtensoldatin
    »Das war schon in Berlin ... Da passierte mir Folgendes: Ich gehe die Straße entlang, und ein Junge mit MP kommt mir entgegengerannt – Volkssturm, der Krieg ist schon fast zu Ende. Die letzten Tage. Ich habe eine MP in der Hand. Schussbereit. Der Junge schaut mich an, zwinkert und fängt an zu weinen. Und ich glaube es kaum – auch ich weine. Er tat mir auf einmal so leid, dieser Junge mit seiner albernen MP. Ich stieß ihn in den Eingang eines zerstörten Hauses – los, versteck dich. Doch er erschrak, er dachte, ich würde ihn gleich erschießen – ich hatte eine Mütze auf, darunter war nicht zu erkennen, ob ich ein Mädchen war oder ein Mann. Er packte meine Hand. Heulte! Ich strich ihm über den Kopf. Er erstarrte. Es war immerhin Krieg ... Ich war ja selbst ganz erstarrt! Ich hatte sie doch den ganzen Krieg hindurch gehasst! Aber gerecht oder ungerecht – Töten ist widerwärtig, besonders am Ende des Krieges ...«
    Albina Alexandrowna Gantimurowa , Unterfeldwebel, Aufklärerin
    »Ich bedaure ... Ich habe eine Bitte nicht erfüllt ...
    In unser Lazarett wurde ein
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