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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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waren so zahlreich, daß es nicht genügend Geier gab, um mit ihnen fertig zu werden, und es war in diesen verkehrten Zeiten nicht ungewöhnlich, Schlangen zu sehen, die diesen Raubvogel fraßen, statt daß sich wiefrüher der Geier mit der Beute im Schnabel in die Lüfte erhob. Tag und Nacht mußten die Sertanejos mit Stöcken und Macheten gehen, und manche Flüchtlinge töteten bis zu hundert Klapperschlangen an einem Tag. Doch der Ratgeber schlief weiterhin auf dem Boden, wo immer die Nacht ihn überraschte. Als er eines Abends seine Begleiter über die Schlangen sprechen hörte, erklärte er ihnen, dies geschehe nicht zum erstenmal. Als die Kinder Israels aus Ägypten in ihre Heimat zurückgekehrt seien und sich über das beschwerliche Leben in der Wüste beklagt hätten, habe ihnen der Vater zur Strafe eine Schlangenplage geschickt. Und da Moses sich zum Fürsprecher gemacht, habe der Vater ihm befohlen, eine eherne Schlange herzustellen. Wer sie anblicke, der werde vom Schlangenbiß geheilt. Sollten sie das auch tun? Nein, denn Wunder wiederholten sich nicht. Aber sicher würde es der Vater mit Wohlgefallen sehen, wenn sie das Antlitz seines Sohnes als Schutz mit sich führten. Von da an trug eine Frau aus Monte Santo, Maria Quadrado, in einer Urne das Bild des guten Jesus, das ein Junge aus Pombal, seiner Frömmigkeit wegen Beatinho genannt, auf Stoff gemalt hatte. Dem Vater mußte die Geste gefallen haben, denn kein Pilger wurde von einer Schlange gebissen.
    Und auch die Seuchen verschonten den Ratgeber, die aufgrund der Dürre und des Hungers in den folgenden Monaten und Jahren die Überlebenden heimsuchten. Die Frauen hatten Fehlgeburten, kaum daß sie schwanger waren, den Kindern fielen Zähne und Haare aus, und die Erwachsenen hatten plötzlich Blut in Speichel und Kot, wurden aufgebläht von Geschwulsten oder bekamen offene Ausschläge, daß sie sich an den Mauern schabten wie räudige Hunde. Der fadendünne Mann pilgerte weiter durch die Pestilenz und das Sterben, unerschütterlich, unverletzlich, wie ein erfahrener Steuermann, der mit seinem Schiff um die Stürme herum einen festen Hafen ansteuert.
    Welchen Hafen steuerte der Ratgeber in seiner unermüdlichen Wanderschaft an? Niemand fragte ihn, und er sagte es nicht und wußte es wahrscheinlich auch nicht. Zu dieser Zeit hatte er schon Dutzende von Gefolgsleuten, die um des Heils willen alles verlassen hatten. Während der Dürremonate arbeitetender Ratgeber und seine Jünger ohne Unterlaß: sie begruben die Toten, die sie am Wegrand fanden, Menschen, die verhungert oder an der Pest oder aus Angst gestorben waren, verweste, von Tieren und selbst von Menschen benagte Leichen. Sie zimmerten Särge und schaufelten Gräber für diese Brüder und Schwestern. Sie waren eine nach Rassen, Gegenden und Berufen bunt zusammengewürfelte Schar. Männer in Lederzeug gab es unter ihnen, die bei den Gutsbesitzern Viehtreiber gewesen waren, rothäutige Caboclos, deren Vorfahren noch halbnackt herumgelaufen waren und die Herzen ihrer Feinde gegessen hatten; Mestizen, die Vorarbeiter, Spengler, Schmiede, Schuster und Zimmerleute gewesen waren, und wild lebende Mulatten oder Neger, die aus den Zuckerplantagen an der Küste und vor dem spanischen Stiefel und dem Block und den in Salzwasser getränkten Peitschen und anderen für Plantagensklaven ersonnenen Strafen geflohen waren. Und es gab Frauen, alte und junge, gesunde oder verkrüppelte, und sie waren immer als erste ergriffen, wenn ihnen der Ratgeber auf nächtlicher Rast von der Sünde sprach, von den Bosheiten des Teufels und der Güte der Heiligen Jungfrau. Sie waren es, die aus Distelstacheln Nadeln und aus Palmfasern Fäden machten, um sein violettes Gewand zu flicken, und die sich die Köpfe zerbrachen, wie sie ihm ein neues nähen sollten, wenn das alte am Gestrüpp zerrissen war; sie waren es, die ihm neue Sandalen schusterten und sich um die alten stritten, um diese Stücke, die seinen Körper berührt hatten, als Reliquien aufzubewahren. Sie waren es, die jeden Abend, wenn die Männer Feuer gemacht hatten, den Brei aus Reis oder Mais oder Maniok und die Kürbisse zubereiteten, die Kost der Pilger. Um Nahrung brauchten diese sich nicht zu sorgen, da sie genügsam waren und Geschenke erhielten, wo sie vorbeikamen. Sowohl von den Armen, die liefen, um dem Ratgeber ein Huhn oder einen Sack Reis oder frischen Käse zu bringen, als auch von den Grundbesitzern, die ihnen durch ihre Diener frische Milch,
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