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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Autoren: Ralf Isau
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nicht nur tatkräftiger und intelligenter, sondern auch äußerst beschlagener Gefährte an seiner Seite.
    Für gewöhnlich begann der Tag mit einer Lagebesprechung im holzgetäfelten Speisezimmer des Sieneser Schuhfabrikanten. Gemeinsam studierte man die Zeitungen, hörte die Nachrichten im Radio, man konnte ja nie wissen, aus welcher Quelle ein wichtiger Hinweis kam. Anschließend ging man getrennte Wege, jeder folgte einem Zweig des verwirrenden Geästs, das vom Stamm der katholischen Kirche getragen wurde. Wenn man sich des Abends wieder traf und die Sonne untergegangen war, stand für gewöhnlich ein ausgedehnter Spaziergang in den Parks der Umgebung auf dem Programm (in diesem Punkt hatte Lorenzo nicht nachgegeben). Anschließend wurde dann meist noch lange debattiert.
    Lorenzo hatte in den Jahren ihrer Trennung einige mehr oder weniger schlüssige Theorien zu den Aktivitäten von »Belials Sippschaft« entwickelt. Er habe eine ganze Reihe von Hinweisen in der Geschichte gefunden, die auf das Wirken eines Geheimbundes schließen ließen. Schon Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, erwähne in der Offenbarung eine geheimnisvolle »Nikolaus-Sekte«. Im zweiten Kapitel des gleichen Buches der Bibel bezeichne er Pergamon als den »Thron des Teufels«.
    David hörte das alles ohne rechte Freude und ließ Lorenzo auch wissen warum: Sollte die Welt tatsächlich – woran er eigentlich keinerlei Zweifel hege – derart von Belials Wirken durchdrungen sein, dann frage er sich einmal mehr, was ihm, David, eigentlich noch für Chancen blieben. Wie könne er überhaupt daran denken, einem solch machtvollen Gegner Paroli bieten zu wollen!
    »Es gibt da eine interessante Stelle in der Schrift«, antwortete der einstige Benediktiner mit wissendem Lächeln.
    »Habe ich beinahe vermutet«, brummte David.
    »Eben erwähnter Johannes schreibt in seinem ersten Brief, Kapitel fünf: ›Denn alles, was aus Gott geboren worden ist, besiegt die Welt. Und das ist die Siegesmacht, die die Welt besiegt hat: unser Glaube.‹ Deine bisherigen Erfolge haben gezeigt, dass du auf der richtigen, auf Gottes Seite streitest, um das Böse zu besiegen. Du musst fest daran glauben, David, auch den endgültigen Sieg erringen zu können.«
    »Ich wünschte nur, das Ganze ginge etwas schneller.«
    »Damit kann ich dir dienen.«
    »Wie meinst du das?«
    Lorenzo schmunzelte. »Ich wollte dich eigentlich überraschen: Morgen wirst du eine Privataudienz bekommen.«
    »Eine Audienz. Doch nicht… «
    Der Italiener nickte. »Bei Pius XII. ganz recht. Es war nicht leicht für mich – einen geächteten ›Eiferer‹ –, dieses ›Arrangement‹ zu treffen. Der Papst kränkelt. Als er letzten Sonntag den Segen über die Teilnehmer eines Notarkongresses sprechen wollte, soll er plötzlich sekundenlang mit erhobener Hand mitten im Kreuzeszeichen verharrt haben. Na, jedenfalls, jetzt bewegt er sich wieder. Morgen um halb elf kannst du bei ihm vorsprechen. Du besitzt ja bereits Erfahrung in dieser Disziplin.«
    David glotzte seinen Freund an, als wäre er einer jener Außerirdischen, die angeblich vor einigen Jahren in Roswell, New Mexico, gelandet waren. »Ich habe das nicht ganz ernst genommen, als du diese Option erwähnt hast.«
     
     
    Am frühen Morgen des 9. Oktober 1958 wurden die Römer noch vor Sonnenaufgang von einem Glockengeläut aus dem Schlaf gerissen, das nur zu besonderen Anlässen erklang. Es kam von der Totenglocke der Laterankapelle. Bald fiel Sankt Peter ein und schließlich sangen alle Kirchen der Ewigen Stadt das Lied von der Vergänglichkeit des Menschen. Eugenio Maria Pacelli, besser bekannt als Papst Pius XII. war um drei Uhr zweiundfünfzig gestorben.
    David und Lorenzo gehörten auch zu den vorzeitig aus dem Schlaf Gerissenen. Aus dem Radio erfuhren sie die Einzelheiten.
    »Das gibt’s doch nicht!«, fauchte David.
    »Beruhige dich. Wir können ihn nicht wieder lebendig machen.«
    »Aber hätte er nicht einen Tag später sterben können?«
    »Ich habe Pacelli zwar nie besonders gemocht, aber das ist nun wirklich pietätlos, David.«
    »Entschuldige. So habe ich es nicht gemeint. Aber man könnte doch wirklich glauben, jemand habe ihn uns vor der Nase weggeschnappt.«
    »Sind Meuchelmordtheorien nicht eine Spezialität deines Vaters gewesen?«
    »Ist ja schon gut!« David lief im Esszimmer der Villa auf und ab, wedelte mit den Armen in der Luft herum, knurrte zusammenhanglose Satzfetzen.
    »Setz dich!«, befahl Lorenzo mit einem
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