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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Autoren: Ralf Isau
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Weise diabolisch betragen würde. Dieser Mensch hatte Hitler zur Macht und damit die Welt an den Rand des Untergangs geführt. Die Worte aus Admiral Canaris’ Nachricht über Rebekkas Tod dröhnten durch Davids Geist: Wie es aussieht, hat Papen von München aus einige Maßnahmen eingeleitet, für die mir kein besseres Wort als »teuflisch« einfallen will.
    Die beiden Männer blickten sich stumm an. Sie suchten nach dem Vertrauten und doch auch Fremden im Gesicht des anderen. Unsicherheit lag in beider Augen. David konnte seine Gefühle kaum noch im Zaum halten. Er verspürte ein unbändiges Verlangen, diesem Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und zwar sofort. Seine zu Fäusten geballten Hände zitterten. Er hat Rebekka auf dem Gewissen!
    Da drangen Lorenzos mahnende Worte wie ein Ruf aus der Ferne in Davids Bewusstsein. »Mein ist die Rache, spricht der Herr.« Bleibe bitte besonnen, hörst du, David? Er wollte es ja, aber: Wie kann ich in dieser Situation nur Ruhe bewahren! Mit einer gewaltigen Willensanstrengung zwang sich David schließlich, die Szene durch Lorenzos Augen zu sehen.
    Franz von Papen war älter geworden. Das irritierte David. Fast auf den Tag genau war es zwanzig Jahre her, dass er diesem Mann zum letzten Mal so nahe gekommen war. Ein Logenbruder Belials durfte während dieses Zeitraums kaum stärker altern als ein normaler Mensch in zwei Jahren. Aber was er noch 1946 in Nürnberg übersehen zu haben schien, ließ sich nun nicht mehr verheimlichen. Papen wirkte wie ein Achtzigjähriger.
    Doch das ließ sich für David noch vergleichsweise leicht verkraften. Was ihn wirklich aus der Fassung brachte, war das Fehlen des Siegelringes. Während des Nürnberger Hauptkriegsverbrechertribunals hatte ihn diese Tatsache noch nicht allzu sehr beunruhigt, aber jetzt, da sich dieser Jünger Belials wieder in Freiheit befand, weckte sie Davids Misstrauen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    »Kennen wir uns?« Es war schließlich der einstige Reichskanzler, der das lange Schweigen gebrochen hatte. Er bediente sich seiner Muttersprache.
    »Das habe ich mich auch gerade gefragt«, erwiderte David ebenfalls auf Deutsch und deutete eine Verbeugung an, weil er es nicht fertig brachte, Papen die Hand zu reichen. »Mein Name ist Friedrich Vauser.« Dasselbe Pseudonym hatte er bei ihrer so dramatischen Begegnung 1938 in München verwandt.
    Nach kurzem Überlegen schüttelte Papen den Kopf »Nein, dieser Name sagt mir leider überhaupt nichts, Herr Vauser. Und Ihr Begleiter?«
    David stellte Lorenzo als seinen Assistenten und Italienischdolmetscher vor. Papen deutete auf zwei der Stühle am Tisch und forderte seine Gäste zum Platznehmen auf.
    Mühsam presste David einige Fragen zum Ableben Pius’ XII. heraus. Wie empfinde Papen angesichts des unerwarteten Todes jenes Mannes, dem er einen seiner größten diplomatischen Erfolge verdanke? Papen antwortete voll ungeheucheltem Schwermut. Pacelli sei mehr als nur ein Verhandlungspartner für ihn gewesen. Er, damaliger Stellvertreter des Reichskanzlers Hitler, habe an diesem Tag einen Freund verloren.
    Während sich das Interview hinzog, wurde aus Davids anfänglicher Verwirrung zunehmend Bestürzung. Aufmerksam verfolgte er Papens Mienenspiel im bernsteinfarbenen Licht. Da gab es echte Trauer, Melancholie – aber alles war überdeckt von einer unerklärlichen Patina aus Gleichgültigkeit. Obwohl der einstige Regierungschef beherrscht schien und mit wohlgesetzten Worten sprach, wirkte er auf David wie ein durch Drogen betäubter, gebrochener Mann, der sich nur dank seiner außerordentlichen Selbstdisziplin noch aufrecht halten konnte.
    Um zu erfahren, wie Papen die eigene Rolle im Dritten Reich einschätzte, hoffte David auf verräterische Äußerungen. Alles, was er jedoch zu hören bekam, waren Rechtfertigungen. Nie habe er, Papen, jene Auswüchse gebilligt, die Hitler zum meistgehassten Mann vielleicht der ganzen Menschheitsgeschichte gemacht hätten. Ihm sei es nur immer darum gegangen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. David kannte alle diese Phrasen zur Genüge, aber was ihn wirklich erschreckte: Der ehemalige Reichskanzler glaubte wirklich an das, was er sagte. Papen schien nicht mehr er selbst zu sein.
    Hatte er es vielleicht mit einem Doppelgänger zu tun? David fand den Gedanken abwegig. Er fühlte es doch, er saß vor einem Menschen, der sich zwar von politischer Schuld nicht frei machen konnte, der aber dennoch die Wahrheit sagte. Gleichzeitig
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