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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Autoren: Ralf Isau
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präsentierten ihm seine Augen zweifelsfrei jenen Feind, dem er so lange Jahre nachgejagt war.
    Und was nun?, fragte er sich selbst. Wenn ihn das Dilemma nicht den Verstand kosten sollte, brauchte er Gewissheit. In Gedanken formte er eine kindisch anmuten de Bedingung: Wenn du mich belügst, sollst du rote Augen bekommen.
    Sie blieben graublau.
    Falls du ein anderer als der echte Franz von Papen bist, schau mich aus rosafarbenen Augen an!
    Auch diese Forderung blieb unberücksichtigt.
    Na gut, eine letzte Probe: Wenn du der bist, der mit Belial den Jahrhundertplan aus der Taufe gehoben hat, dann mögen deine Augen die Farbe der Leselampe annehmen.
    Als würde die Sonne hinter einer am Himmel dahinjagenden Wolke auftauchen, wurden Papens Augen plötzlich bernsteingelb. Jetzt war David so klug wie zuvor und mindestens doppelt so verwirrt. Hinter sich vernahm er ein erschrockenes Luftholen. Lorenzo hatte die Veränderung also auch bemerkt. Papen dagegen nicht. Er wunderte sich nur, warum ihn die beiden Besucher so anstarrten.
    »Ist etwas, meine Herren?«
    Gedankenschnell formulierte David noch einen letzten Befehl: Augen, werdet wie früher, wenn ihr nicht mehr einem Logenbruder Belials gehört.
    Und im Nu hatten sie wieder die ursprüngliche Färbung.
    Es war nur eine fixe Idee gewesen und trotzdem hatte David ins Schwarze getroffen: Franz von Papen hatte sich verändert. Wenn schon Nachrichtendienste sich der Gehirnwäsche bedienten, um einem Menschen seine letzten Geheimnisse zu entreißen oder seine Persönlichkeit zu zerstören, wie viel leichter musste dies dem Schattenlord fallen!
    Mit einem Mal fügte sich alles ineinander. Schon früher war David die außergewöhnliche Geltungssucht dieses schnauzbärtigen Mannes aufgefallen. Weder die Fähigkeiten noch der Charakter qualifizierten ihn für die Rolle des großen Staatsmannes und doch hatte es ihn immer wieder in exponierte Ämter gedrängt. Durch sein Verhalten musste er seine so auf Geheimhaltung bedachte Bruderschaft in große Gefahr gebracht haben. Vermutlich war er getadelt worden und hatte sich in den Wirren des Röhmputsches geschickt aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, nur um später erneut seiner Schwäche zu erliegen. Aber warum hatte Belial ihn nicht einfach umgebracht wie einst den Grafen Zapata? Hatte das etwas mit Verpflichtung zu tun, mit der Anerkennung bereits geleisteter Dienste?
    Nein, zu solchen Regungen war der Schattenlord wahrscheinlich gar nicht fähig. David fiel nur eine Erklärung für die »schonende« Kaltstellung Papens ein: Sein Leben war durch die Besiegelung des Jahrhundertplans mit dem jedes anderen Logenbruders verwoben. Der Tod eines einzigen von ihnen verkürzte auch die Lebensspanne der übrigen. Eine solche Sippenhaftung hätte die Kampfmoral der treuen Mitstreiter Belials unnötig geschwächt. Bei dem wachsenden Druck, den David auf den Zirkel ausübte, konnte sich der Großmeister ein derartiges Risiko nicht leisten. Also hatte er Papens Bewusstsein von allem Verräterischen »gereinigt« und sein Amt einem anderen übertragen.
    Auf schreckliche Weise klar und deutlich erschien David plötzlich so vieles, was er bis dahin nicht richtig verstanden, ja, teilweise kaum durchschaut hatte. Er musste an Toyamas Angebot denken, das der ihm in seinem Palast in Hiroshima unterbreitet hatte: Treten Sie auf die Sei te des Kreises der Dämmerung. Es ist da ein Posten vakant, den wir Ihnen gerne anbieten würden.
    Inzwischen war wohl dieser »Posten« anderweitig besetzt. Aber von wem? David begann langsam wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Während er Papens ungeduldigen Blick bemerkte, fragte er sich, ob dieser Mann eine Vorstellung von der Identität seines Nachfolgers hatte. War der einst so stolze deutsche Reichskanzler jetzt nicht nur noch ein am Leben gescheitertes, sich missverstanden fühlendes Individuum – wie tausende andere auch?
    »Friedrich!« Lorenzo hatte die Stimme erhoben, um den benommenen Journalisten aus der längst peinlich gewordenen Versenkung zu wecken.
    »Was…? Ja, entschuldigen Sie bitte«, wandte sich David wieder an Papen. Er hatte einen Entschluss gefasst. Womöglich konnte der Wahrheitsfinder im Gedächtnis des geschassten Logenbruders doch noch etwas ausgraben, was Belial dort auszutilgen vergessen hatte. »Jetzt ist es mir wieder eingefallen«, sagte er lächelnd. »Wir sind uns doch schon einmal begegnet. Und zwar am 30. September 1938, anlässlich der Unterzeichnung des Münchener
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