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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Autoren: Ralf Isau
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Treppe zurückkehrte, war Ohei verschwunden.
    Was stellt er nun schon wieder an? David hätte am liebsten laut geschimpft. Er eilte zur Wendeltreppe, um dort hinaufzuschauen, als er zu seiner Linken eine Bewegung ausmachte.
    Es war der Greis, der ihm fröhlich zuwinkte. Durch Gesten signalisierte er David: Keine Angst, ich lausche nur an den Türen und sehe durch die Schlüssellöcher; sieh du in der Zwischenzeit nur schon vorne nach.
    David ließ resignierend die Luft durch die Nase strömen und nahm die Türen in Angriff, die zur Vorderfront des Palastes gingen. Die erste führte in ein großes Besprechungszimmer, in dem sich ein Tisch mit zwölf Stühlen befand. Ob der Kreis der Dämmerung hier auch schon getagt hatte? Jedenfalls war der sparsam möblierte Raum unübersehbar leer. Auch hier brannten Ölschalen. David machte sich gar nicht die Mühe weiter ins Zimmer zu treten, sondern kehrte auf den Flur zurück. Dort sah er, wie Ohei gerade hingebungsvoll durch ein Schlüsselloch schielte. David verlor ihn aus den Augen, als er sich nach links dem nächsten Raum zuwandte. Als er die Hand auf den Türgriff legte, vernahm er ein Geräusch.
    Es hatte wie das Rascheln von Papier geklungen. Sein Herz begann heftiger zu schlagen. Schnell rief er sich Oheis Beschreibung des Palastes in den Sinn. Ja, hinter dieser Tür musste das Arbeitszimmer von Toyama sein. Und wo sonst sollte sich ein so eifriger Förderer des Jahrhundertplans aufhalten?
    David schloss die Augen, um sich noch einmal zu konzentrieren. Rebekkas Gesicht tauchte vor ihm auf. Sie schien den Kopf zu schütteln und Nein! zu rufen. Mit einem Ruck stieß David die Tür auf und sprang in den Raum.
    Er hörte, wie die Tür gegen ein Hindernis prallte und einen Wimpernschlag später wieder hinter ihm ins Schloss zurückfederte. Seine Augen bekamen davon nichts mit. Seine Blicke flogen durch den Raum, registrierten Regale, Bücher, einen Globus, einen brennenden Ölleuchter und einen Schreibtisch voller Papiere, an dem ein Mann saß.
    Toyama reagierte ungewöhnlich gelassen. Nur für einen Moment flammte in seinen Augen so etwas wie Überraschung auf, doch seine Stimme klang bemerkenswert ruhig, als er in bestem Englisch sagte: »Ich habe mir gedacht, dass Sie früher oder später hier aufkreuzen werden. Mr Newton, nicht wahr? Oder soll ich besser David Milton zu Ihnen sagen? Oder Camden? Welchen Namen bevorzugen Sie gerade?«
    »Und ich habe geahnt, dass Sie meiner Familie all die Jahre nachspioniert haben«, antwortete David in nicht weniger flüssigem Japanisch. Irgendetwas an Toyamas Aufzählung ließ ihn stutzen. »Vielen Dank für die Bestätigung, Mitsuru-san. Oder ist Ihnen der Name Teruzo lieber?«
    Toyamas breites Gesicht grinste unverschämt. »Nachdem wir das geklärt haben, sollten wir uns darüber einig werden, wie es nun weitergeht, Camden. Ich für meinen Teil…«
    »Wagen Sie es nicht!«, sagte David und machte mit dem ausgestreckten Langschwert einen Schritt auf den Schreibtisch zu, an dem Toyama gerade eine Schublade öffnen wollte.
    »Wie haben Sie das gemacht?«
    »Ich blicke in Ihre Augen.«
    Toyama lehnte sich wieder im Stuhl zurück und zeigte demonstrativ seine Hände. David bemerkte den goldenen Siegelring am Finger des großen Japaners, dessen Rechte immer noch etwas dunkler aussah als die Linke. »Ich tue nichts, was Sie beunruhigen müsste, Camden. Aber sagen Sie mir bitte, was Sie nun mit mir vorhaben. Wollen Sie mich etwa mit Ihrem katana aufspießen? Sie sind doch kein Barbar, oder?«
    »Als Sie meinen Freund, den Grafen Ito, haben umbringen lassen, waren Sie weniger kultiviert, Toyama.« Nein, David war kein kaltblütiger Mörder. Aber er spürte trotzdem, wie der Gedanke an Yoshis Tod seinen Zorn entfachte. Er hob das Schwert wie zum Schlag, umklammerte dessen Griff fest mit beiden Händen. Seine Finger bewegten sich nervös. Mit einem einzigen Streich konnte er Toyamas Treiben jetzt ein Ende setzen. Für die ermordeten Eltern Vergeltung üben…
    Und Toyama einen letzten Sieg verschaffen.
    David kämpfte gegen das Rachegefühl an; er wollte sich nicht zum Sklaven seines Hasses machen lassen. Außerdem wäre eine Kurzschlusshandlung alles andere als vorteilhaft für ihn. Er ließ das katana wieder etwas tiefer sinken. Es musste ihm gelingen, Toyama etwas von dem unschätzbaren Wissen zu entreißen, das er über den Kreis der Dämmerung besaß. Mit diesen Kenntnissen – und all den Dokumenten in diesem Raum – würde er den
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