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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Autoren: Ralf Isau
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ausschlossen. Schon im letzten Jahrhundert hatte er hier ein weites Areal erworben. Verborgen im wild wuchernden Grün, lag der Palast ungefähr fünfzig Yards über dem Meeresspiegel. Man konnte ihn nur über eine schmale Treppe erreichen, die in die Felsen geschlagen war, oder über einen Flaschenzug, der hauptsächlich dazu verwendet wurde, Lebensmittel oder andere Güter in das Haus zu befördern.
    Der Begriff »Haus« sei eigentlich nicht ganz passend, hatte der Greis hinzugefügt, denn bis auf einen kleinen Teil der Fassade, hinter dem sich Toyamas meistbenutzte Aufenthalts- und Arbeitsräume befanden, verbarg sich der größte Teil des Palastes tief im Felsen. Soweit Ohei wusste, hatte sein Herr dereinst eine natürliche Höhle, die früher von Piraten benutzt worden war, erweitern lassen, um sein ungewöhnliches Domizil zu schaffen.
    Seine List wird ihm zum Verhängnis werden. Davids Gedanken waren wieder bei den Beschreibungen des ehemaligen Kochs. Die Unzugänglichkeit des Palastes bedeutete genau genommen doch nichts anderes, als dass man auch nur über das Meer fliehen konnte. Darin bestand seine Taktik. Sie würden in der Nachbarbucht auf den Einbruch der Dunkelheit warten und sich anschließend mit einem Ruderboot zu Toyamas Versteck heranpirschen. Während Wang und seine Leute dann dafür sorgten, dass etwaige Schiffe des Gegners auf Grund gesetzt wurden, würde er, David, sich in Begleitung Oheis zum Palast hochschleichen – der Alte war nicht davon abzubringen, an der Operation »Drachenfeuer« (der Name stammte von ihm) teilzunehmen.
    So weit, so gut. Da gab es nur eine winzige Schwierigkeit: Rebekka wollte David und Ohei partout begleiten. Noch auf dem Fischerboot hatten sie stundenlang darüber diskutiert. Und obwohl längst alles gesagt war – David meinte, das Unternehmen sei zu gefährlich für sie, und Rebekka beharrte darauf, dass sie ihn niemals im Stich lassen würde –, musste schließlich ein Dritter vermittelnd eingreifen, um endlich einen Kompromiss zu erzielen. Es war Momoko, die vorschlug, dass die beiden Frauen auf die Ruderboote aufpassen sollten, »während die Männer ihrem Handwerk« nachgingen. Bei dieser Gelegenheit könnten Rebekka und Momoko auch nach möglichen Gefahren Ausschau halten und »durch einen Pfiff die Herren Piraten warnen«. Auf dem Rest der Reise lernte Rebekka, wie man mit zwei Fingern im Mund schrille Geräusche erzeugte.
     
     
    »Ich würde sagen, jetzt ist es dunkel genug.« Oheis Fistelstimme war leiser, als es die Umstände erforderten. Noch lag die Taifun ja in der Nachbarbucht versteckt.
    »Ich hoffte schon, du würdest das nie sagen«, brummte Kapitän Wang.
    David verzog keine Miene. Seine Nerven waren jetzt schon bis zum Zerreißen angespannt. Seit mindestens zwei Stunden hatte er im Geist alle möglichen Szenarien durchgespielt. Er war hoch konzentriert. Noch einmal kontrollierte er den Sitz der beiden Schwertscheiden. Dann nickte er.
    »Meinetwegen kann es auch losgehen.«
    Acht Personen verteilten sich auf die zwei Ruderboote. David saß mit Rebekka, Ohei und einem »Piraten« in dem einen, Kapitän Wang mit zweien seiner Leute und Momoko in dem anderen. Nur eine einzige Wache blieb bei der Taifun zurück.
    Mit kräftigen Ruderschlägen lösten sich die beiden Boote aus den Schatten der mächtigen Bäume, hinter denen das Fischerboot versteckt lag. David hatte sich zuletzt auf der Isis in Oxford in die Riemen gelegt, aber gemeinsam mit dem chinesischen Fischer fiel es ihm nicht schwer, mit den anderen gleichzuziehen. Als sie die Landzunge umrundet hatten, hinter der Toyamas Privatbucht lag, schalteten sie auf »Flüstergang« um, wie Wang es bezeichnet hatte – die Ruderblätter schnitten die Wasserlinie jetzt nur noch sehr behutsam und mit der geringstmöglichen Fläche.
    Langsam glitten die Boote die enge Bucht hinauf. Das Meer war in dieser Nacht ruhig, fast zu ruhig. In dem engen Kessel der Bucht schien das Wasser wie ein Resonanzboden zu wirken. Wenn in den Bäumen der Schlucht ein Vogel schnarrte oder irgendwo ein Fisch aus dem Wasser sprang, dann glaubte man, das Tier befände sich im Innern des Bootes. Ein dünner Schleier aus Wolken umhüllte den Mond. Hier und da konnte man die Sterne sehen. Sie gaben gerade genug Licht, um sich zu orientieren. Oder um entdeckt zu werden.
    David wünschte sich, es würde regnen. Dann wäre alles viel leichter. Aber so – wenn irgendwo dort draußen in der Dunkelheit wachsame Augen auf das Meer
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