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Der Krankentröster (German Edition)

Der Krankentröster (German Edition)

Titel: Der Krankentröster (German Edition)
Autoren: Jürgen von der Lippe , Gaby Sonnenberg
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die »Rücken« hatten. Kaiser Karl machte Aachen zu seiner Residenz, der Aachener Dom wurde als erstes deutsches Bauwerk in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen. Hier standen am 7. September 1804 Napoleon und seine Gattin Joséphine, die des Öfteren in Aachen kurte, vor dem Domschatz, der dank der Hilfe des Franzosenkaisers gerade aus Paderborn zurückgeholt worden war. Der Aachener Bischof Berdolet begleitete das hohe Paar, und Napoleon sagte: »So, Fine, jetzt such’ dir mal ’ne Kleinigkeit aus aus dem janzen Krempel, dat wird ja wohl drin sein für meine Bemühungen!« Der Bischof überreichte Joséphine dann eilends einen als »Talisman Karls des Großen« bezeichneten Reliquienanhänger, der heute in Reims aufbewahrt wird.
    Machen wir einen Sprung ins Jahr 1951 sowie in die Normannenstraße, ganz dicht am alten Aachener Tivoli. Immer wenn an Heimspieltagen aufbrandender Jubel von einem Tor der Aachener Alemannen, oder »Kartoffelkäfer«, wie man die Schwarz-Gelben nannte, kündete, rief ein dreijähriges Kind, das erst vor Kurzem mit seinen Eltern von Bad Salzuflen in die Kaiserstadt gezogen war: »Jetzt haben die Alemannen wieder ein Tor geschissen!« Man könnte trefflich darüber streiten, ob diese sprachliche Fehlleistung dem kindlichen Sprachplanungsapparat geschuldet ist, der das Partizip vom Wortstamm »schieß« ableitete, oder ob es sich um einen klassischen Freud’schen Versprecher handelt, weil das Kind eine bevorstehende Entleerung spürte. Zumindest ist diese meine frühe Äußerung historisch verbürgt und zwar durch meine Mutter, die, wie alle Mütter, später nur wenige Gelegenheiten ausließ, diese und andere Anekdoten unters Volk zu bringen. Den Satz Napoleons hingegen habe ich erfunden, er könnte aber so oder ähnlich gefallen sein. Beide Begebenheiten fanden in Aachen statt, weitere Gemeinsamkeiten zwischen dem Korsen und mir wird man vergeblich suchen.
    In der Normannenstraße wohnten wir zur Untermiete bei der Familie Schmitz, die zwei Kinder hatte. Der Junge, Karl Heinz, besaß mehrere kleine Spielzeugautos, die mein Interesse weckten. Allerdings faszinierten mich weniger ihre Fahreigenschaften als die Frage, wie schnell man sie kaputt kriegte. Das hat meinen Vater manche Mark gekostet, die er gar nicht weit von unserem ersten Aachener Domizil schwer verdienen musste: als Barkeeper in der Cortis-Bar, Aachens bestem Stripteaseladen, etwas außerhalb des Stadtkerns in der Krefelder Straße. Dort gaben sich weltliche und geistliche Würdenträger Aachens die Klinke in die Hand, ebenso die Schmugglerszene des Dreiländerecks und die internationale Reiterelite, wenn einmal im Jahr in der Soers das CHIO stattfand. Es zahlte längst nicht jeder Gast immer seine Rechnung, er ließ anschreiben, und mein Vater behielt ein Pfand ein, auf dem er dann nach Ablauf eines Jahres häufig sitzen blieb. Uhren, Silberbesteck, ich glaube, die Kuchengabeln, die ich noch heute nie benutze, stammen aus dieser Zeit.
    Aus dem möblierten Zimmer in der Normannenstraße zogen wir in die Theaterstraße, nahezu in die Stadtmitte, erster Stock, zwei Zimmer, Küche, Toilette. Das waren die guten alten Zeiten des Sukzessivbadetags, erst Papa, dann Mama und in der lauwarmen Restlauge, die mit einem Flötenkessel voll kochenden Wassers aufgepimpt wurde, ich. Die ersten vier Schuljahre absolvierte ich in der Volksschule Beeckstraße. Schon zuvor, mit vier Jahren, hatte ich als Diphteriepatient im Luisenhospital den anderen Kindern aus einem Märchenbuch vorgelesen. Dass da ein Bluff vorlag, merkten die nur daran, dass ich das Buch verkehrt herum hielt. In der zweiten Klasse begann ich, Märchen zu schreiben. Sie sind leider verschollen, festigten aber in meinem Lehrer die Überzeugung, dass er einen kommenden Dichterfürsten unter seinen Fittichen hatte, weswegen er später bei meinen Eltern durchsetzte, dass ich auf das traditionsreiche, humanistische Kaiser-Karls-Gymnasium ging.
    Meinen Lehrer vergötterte ich. Ich wollte Förster werden, und er nahm mich winters mit zur Rehfütterung. Er machte mich auch durch seinen leidenschaftlichen Religionsunterricht zu einem tiefgläubigen Kind. Dann übernahm der Probst von St. Adalbert und spätere Weihbischof Buchkremer das Fach, das später auf dem Gymnasium »Rillefix« hieß. Joseph Ludwig Buchkremer, Sohn des Dombaumeisters Joseph Buchkremer, war 1923 Priester geworden, übernahm die Pfarre St. Adalbert, war später Stadtjugendseelsorger. Als engagierter
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