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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Autoren: H kan Nesser
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wieder einmal daran gedacht. Doch, das wäre schon möglich gewesen.
    Wenn er sein Leben nicht einer anderen geschenkt hätte, natürlich.
    Und jetzt saß sie hier und buchte eine Reise. Ulrike Fremdli. Knapp über die Fünfzig, soweit er es beurteilen konnte. Mit frischer Kastanienfarbe im Haar.
    Es gab da so gewisse Muster ...
    Er zog eine Wartenummer und setzte sich auf den dünnen Stahlrohrsessel hinter ihr, ohne sich zu erkennen zu geben. Es gab natürlich keinen Grund dafür, dass sie sich noch ebenso
intensiv an ihn erinnerte wie er an sie. Oder sich überhaupt an ihn erinnern würde. Er wartete. Blätterte in einem der Kataloge, die vor ihm auf dem Glastisch lagen. Schob den Zahnstocher hinüber in den rechten Mundwinkel und versuchte so auszusehen, als würde er nicht lauschen.
    Als wäre er einfach nur ein ganz gewöhnlicher Charteraspirant. Oder ein ungewöhnlich verschwitzter Teil der Einrichtung.
    Aber er hörte zu. Seine Trommelfelle waren bis aufs Äußerste gespannt. Gleichzeitig begann ein dumpf beunruhigendes Gefühl in ihm zu erodieren. Sowohl im Magenbereich als auch hinter dem Kehlkopf, wo, wie er schon seit längerer Zeit wusste, die Seele ihren Platz hatte. Zumindest was ihn betraf.
    Denn es ging um Kreta. Das war so klar wie Kloßbrühe, das begriff er sofort. Der sonnengebräunte Verkäufer sprach von Theseus und Ariadne und von der Stadt der Witwen. Von Spili und Matala und vom Samaria-Wein.
    Und jetzt von Rethymnon.
    Kommissar Van Veeteren schluckte. Zog sein Taschentuch heraus und wischte sich von neuem den Nacken ab; trotz der trägen Ventilatoren, die unter der Decke die Luft umrührten, war es heiß wie im Backofen.
    »Man darf die Strömungen nicht unterschätzen«, erklärte der Verkäufer.
    Sehr richtig, dachte Van Veeteren.
    »Hotel Christos«, schlug der junge Adonis vor. »Einfach, aber gut gepflegt. Liegt mitten in der Altstadt ... nur eine Minute bis zum venezianischen Hafen.«
    Ulrike Fremdli nickte. Der Halbgott lächelte. »Dann also Abreise am Ersten? Für zwei Wochen?«
    Van Veeteren spürte ein Schwindelgefühl in sich aufsteigen und wieder vorbeiziehen. Ein fast pubertäres Schwirren. Er legte den Katalog hin und sprang vom Sessel auf. Ich brauche frische Luft, dachte er. Verdammt noch mal. Es roch schon von weitem nach Herzinfarkt.
    Draußen auf der Straße blieb er im Schatten einer Linde stehen.
Spuckte den Zahnstocher aus und biss sich hart auf die Lippen. Stellte fest, dass er nicht aufwachte und dass er folglich auch nicht geträumt hatte.
    Verdammte Scheiße, dachte er. Ich bin für so etwas zu alt.
    Er kaufte sich einen halben Liter Mineralwasser am Kiosk und trank die Flasche in einem Zug aus. Anschließend blieb er noch eine Minute einfach nur stehen und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Dumm, sich zu sehr zu ereifern, dachte er.
    Noch dümmer, nicht den kleinen Zeichen Glauben zu schenken, die einem vor die Füße fallen, dachte er anschließend. Und wenn ich nun schon einmal hier bin ...
    Er trat wieder in das Sonnenlicht. Ging schnell und entschlossen über den Marktplatz und bog in die Kellnerstraat ein. Marschierte an einigen Antiquariaten vorbei, bis er an der Ecke zur Kupinski-Gasse stehen blieb. Dort wischte er sich die Stirn ab und schaute in das voll gestopfte Schaufenster.
    Vorsichtig, als ginge es um ein Pokerblatt.
    Doch, das Schild hing immer noch dort.
    Mitarbeiter gesucht
Evtl. Teilhaberschaft
F. Krantze
    Es musste mittlerweile seit – er dachte nach – sechs Wochen dort hängen. Er stieß einen vorsichtigen Seufzer der Erleichterung aus. Ja es war schon der halbe Sommer vergangen, seitdem er es das erste Mal gesehen hatte.
    Er zögerte wieder eine Weile, bevor er langsam zurück zum Marktplatz schlenderte. Kaute auf einem Zahnstocher und betrachtete verstohlen die alten Jugendstilfassaden von der Jahrhundertwende. Verwittert, aber immer noch voller Schönheit. Die buschigen Linden, die den Bürgersteig im dunklen Schatten liegen ließen. Yorrick’s Café an der Ecke. Winderblatt’s gegenüber. Ein großer keuchender Bernhardiner, dessen Zunge bis auf den Fußweg hing, unter einem der Tische.
    Doch, dachte er. Hier könnte man es schon aushalten. Und
als er ins Auto stieg, hatte er einen Beschluss gefasst. Wenn das Schild im August noch dort hängt ... Ja, dann soll es so sein.
    So einfach war das.
     
    Noch einfacher war es anschließend, unverzüglich nach Klagenburg zu fahren und per Telefon eine zweiwöchige Charterreise nach
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