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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Autoren: H kan Nesser
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menschlich, heute muss etwas wirklich Außergewöhnliches passiert sein.
    Spili, dachte der Hauptkommissar seinerseits. Die Quelle der Jugend ... eine halbe Stunde hinauf in die Berge mit einem Mietauto von Rethymnon aus ... der Wind in ihrem Haar, und dann ergibt sich das eine oder andere ...
    Warum nicht?
    Und anschließend Krantzes Antiquariat.

4
    Rein physisch gesehen, war der Morgen des 18. Juli ein perfekter Morgen.
    Der Himmel war wolkenfrei, die Luft klar und noch kühl; das dunkle Wasser des Meeres lag spiegelblank da, und Polizeianwärter Merwin Kluuge absolvierte seine sieben Kilometer lange Strecke auf den erlenbestandenen Stränden in neuer Rekordzeit – sechsundzwanzig Minuten und fünfundfünfzig Sekunden.
    Er holte zufrieden unten am Anleger für kleine Boote Luft, dehnte sich und joggte dann locker zum Reihenhaus hinauf, wo er duschte, Wasser aufsetzte und seine blonde Ehefrau weckte, indem er ihr vorsichtig und liebevoll über den Bauch
strich, in dem sie seit sechs Monaten seine Frucht und Hoffnung trug.
    Das Reihenhaus war noch jüngeren Datums. Erst acht Wochen waren vergangen, seit sie, mit gütiger Hilfe durch das Sparguthaben der Schwiegereltern, es in Besitz hatten nehmen können, und immer noch wurde er von einem Gefühl jungfräulicher Verwunderung ergriffen, wenn er morgens darin erwachte. Wenn er seine Füße auf die weinrote Auslegware im Schlafzimmer stellte. Wenn er in den Zimmern herumtappte und über Strukturtapeten und Kiefernpaneele strich, deren immer noch frischer Holzduft wie eine Verheißung ungeahnter Möglichkeiten und wohlverdienter Fortschritte in der Luft hing. Und wenn er die Blumenbeete begoss oder die kleine Rasenfläche zum Wald hin mähte, konnte er nicht anders, er fühlte eine heiße, intensive Dankbarkeit gegenüber dem Leben schlechthin.
    Ohne jede Vorwarnung hatte es sich plötzlich vor ihm aufgetan. War auf ein neues, sonnenklares Gleis gewechselt, auf dem er und Deborah die einzigen Waggons waren, die in einem insgesamt sicheren und harmonischen Zug, der sein Ziel in der Zukunft hatte, überhaupt etwas bedeuteten. Alles hatte sich mit der Erkenntnis von Deborahs Schwangerschaft ergeben – oder eher mit deren Bekanntgabe. Die Hochzeit war nur zwei Wochen später vonstatten gegangen, und wenn Merwin Kluuge an diesem schönen Sommermorgen vorsichtig mit den zarten und fürs bloße Auge fast unsichtbaren Haarwirbeln auf dem prallen Bauch seiner Frau spielte, dann überfiel ihn dabei ein Gefühl, das fast als religiös zu bezeichnen war.
    »Tee oder Kaffee?«, fragte er zärtlich.
    »Tee«, murrte sie, ohne die Augen zu öffnen. »Du weißt doch, dass ich seit drei Monaten keinen Kaffee mehr trinke. Warum fragst du dann?«
    Ja, natürlich, dachte Kluuge und ging in die Küche, um das Tablett fertig zu machen.
    Dann aßen sie zusammen im Bett Frühstück, wobei sie auf dem neuen 27-Zoll-Fernsehapparat ein Morgenprogramm anschauten
und Kluuge wieder mit vorsichtigen Fingern die angespannte Haut streichelte und nach Tritten und anderen feststellbaren Lebenszeichen von Merwin junior suchte, und genau um 07.45 Uhr verließ er sein Heim und sein bettwarmes Glück.
    Er holte sein Zwölfgangfahrrad aus der Garage, befestigte die Klammern an den Hosenbeinen, die Aktentasche auf dem Gepäckträger und machte sich auf den Weg.
    Genau elf Minuten später bremste er auf dem Kleinmarckt. Der Platz lag noch fast menschenleer da, drei oder vier Budenbesitzer waren dabei, die Luken zu öffnen und Obst und Gemüse in die Stände neben dem Rathaus zu packen, und um die sprudelnde Fontäne promenierten fette Tauben in schlaffer Faulheit. Kluuge stellte sein Fahrrad in dem Ständer vor der Polizeiwache ab, sicherte es mit einem doppelten Bogenschloss ab und wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn. Dann trat er durch die Türen aus Milchglas, begrüßte Frau Miller in der Rezeption und nahm das Dienstzimmer des Revierchefs in Besitz.
    Er setzte sich hinter den riesigen Schreibtisch, zog die Fahrradklammern ab und schlug die erste Seite des Notizblocks auf, der neben dem Telefon lag.
    Mädchen verschwunden??? stand dort.
    Er schaute aus dem Fenster, das Frau Miller einen Spalt geöffnet hatte, und betrachtete den blühenden Holunder. Dass es Holunder war, hatte ihm der Chef erzählt, dass er blühte, konnte jeder sehen.
    Rein physisch betrachtet, war es immer noch ein perfekter Morgen, aber was Merwin Kluuges Pflichten als Vertretung des Ferien machenden Polizeichefs
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