Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Autoren: H kan Nesser
Vom Netzwerk:
betraf, so zeigten sich zweifellos einige Unwetterwolken.
    Zumindest eine.
    Genau gezählt eine.
     
    »Urlaub«, hatte Polizeichef Malijsen gesagt und ihm mit zwei Fingern auf das Schlüsselbein geklopft. »Du weißt doch verdammt
noch mal wohl, was Urlaub bedeutet? Ruhe und Frieden. Einsamkeit und Handlungsfreiheit. Nadelwald, hoher Himmel und neue Angelgewässer. Ich habe diese verfluchte Hütte von meinem sauer verdienten Gehalt gemietet und habe vor, dort drei Wochen zu bleiben, selbst wenn die Japaner angreifen sollten. Hat der Herr Anwärter das verstanden?«
    Dass die Japaner früher oder später die Welt einem neuen – und deutlich besser geplanten – Pearl Harbour aussetzen würden, das behauptete Polizeichef Malijsen seit dreißig Jahren, und er versäumte selten eine Gelegenheit, es anzuführen.
    »Du wirst den Laden hier schmeißen. Es ist an der Zeit, dass du endlich auf eigenen Beinen stehst, wenn aus dir etwas anderes als ein Aktenhengst und Marckxeinbuchter werden soll.«
    Und tatsächlich bestand der Löwenanteil an Kluuges üblichen Aufgaben darin, die monatlichen Berichte des Sorbinowoer Polizeireviers zusammenzustellen und abzuschicken. Das war so, seit er vor gut drei Jahren hier seinen Dienst angetreten hatte, und würde wohl auch bis zu dem Tag – der noch ein Jahrzehnt hin war – so bleiben, an dem Malijsen mit dem Recht des Alters seinen Posten abgab, um sich stattdessen dem süßen Nichtstun hinzugeben und vor dem Fernseher zu sitzen. Oder Angelfliegen zu binden. Oder Verteidigungsanlagen zu bauen, die vor der immer unausweichlicheren Attacke der schlitzäugigen Gelben schützen sollten.
    Laut Kluuges Sicht auf die Welt und deren Bewohner war Polizeichef Malijsen nicht ganz gescheit, eine Auffassung, die möglicherweise von dem einen oder anderen Sorbinowo-Bewohner geteilt wurde, aber ganz gewiss nicht von allen. Über Malijsen ging das Gerücht, dass er – trotz eines gewissen Mangels an Originalität – dennoch der richtige Mann für seinen Posten war und dass er fein säuberlich zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte, zwischen Schurken und rechtschaffenen Menschen in allen Teilen des Distrikts. Sogar eine so zweifelhafte Gestalt wie Edward Marckx – Brandstifter, Knastbruder, jähzorniger Junkie und Schläger – hatte einmal
anlässlich irgendeiner Verhaftung seine grimmige Ansicht über den Polizeichef verkündet:
    »Ein ziemlich widerlicher Kerl, aber doch mit einem Herz im Leib und einem Arsch zum Draufsitzen!«
    Möglicherweise wäre Kluuge sogar bereit, diese Quintessenz einer Charakterisierung zu unterschreiben.
    Jedenfalls war Malijsen dann in der Türöffnung noch für ein paar Sekunden ernst geworden. Er hielt in seinem Sermon inne und hob eine Augenbraue.
    »Du wirst doch wohl klarkommen?«
    Kluuge war ein genau abgemessenes Schnauben gelungen. Nicht zu grob. Keine Nervosität.
    »Aber selbstverständlich.«
    Malijsen hatte dennoch ein wenig zweifelnd ausgesehen und eine Karte aus seiner Brieftasche gezogen.
    »Stör mich verdammt noch mal nicht unnötig! Natürlich gibt es ein Telefon unten im Ort, aber ich brauche diese Wochen einfach, um über Lilian hinwegzukommen.«
    Lilian war Malijsens krebskranke Ehefrau, der nach mehreren Jahren mehr oder weniger martialischer Schmerzen endlich die Gnade zuteil geworden war, dieses Erdenleben zu verlassen. Voll gepumpt mit Drogen und nur noch ein Schatten ihrer selbst ... das war Mitte März gewesen; Kluuge war gemeinsam mit Deborah bei der Beerdigung gewesen, und diese hatte festgestellt, dass der Polizeichef zwar eine Träne vergossen, aber nicht gerade über Gebühr geweint hatte.
    »Falls es irgendeinen Dreck gibt, kannst du dich stattdessen immer an VV wenden«, erklärte Malijsen. »Das ist ein alter Kollege von mir, und er ist mir noch einen Gefallen schuldig.«
    Er gab ihm die Karte, und Kluuge stopfte sie in seine Brusttasche, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Eine Viertelstunde später ließ er sich hinter dem ziemlich abgenutzten Schreibtisch nieder, lehnte sich zurück und schaute drei Wochen ruhiger und prestigeerfüllter Diensterfüllung entgegen.
    Das war vor sechs Tagen gewesen. Am letzten Freitag. Heute war Donnerstag.

    Das erste Gespräch war am Dienstag hereingekommen.
    Das zweite gestern.
    So eine Scheiße, dachte Kluuge und starrte auf die Karte mit dem vertrauten Namen. Er blieb sitzen und drehte sie in den Händen, während er in der Erinnerung zwei Tage
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher