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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition)
Autoren: Edwin Klein
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ihn, falls sie seine Herkunft herausfanden, erschossen haben.«
    »Nein.« Hellen legte eine Hand auf den Mund.
    »Schatz, du musst das realistisch sehen. So ist nun mal das Leben. Nicht, Herr Koenen?«
    »Und wenn er alles überlebt hat? Was dann?« fragte Alexander, der sich an das seltsame Treffen mit dem kräftigen Deutschen, Steinmetz nannte er sich, in Bratsk erinnerte.
    »Seither sind mehr als vierzig Jahre vergangen, ein halbes Menschenleben. Er müsste jetzt ...« Jannings schaute auf den Zettel.
    »Er wird fünfundsiebzig, im Oktober«, sagte Alexander.
    »Eigentlich noch kein Alter. Aber wie gesagt ...«
    Jannings versprach, sich darum zu kümmern, und Hellen beruhigte Alexander. Was Ingo anpacke, das habe Hand und Fuß. Nicht umsonst sei er in seinem Beruf so weit nach oben gekommen, Vertriebsleiter einer Firma mit immerhin zwanzigtausend Beschäftigten. »Nicht, Ingo?«
    »Vierundzwanzigtausend. Wie viele hatten Sie in Sibirien?«
    »Etwa eine viertel Million.«
    »So ein Bund oder was, wenn ich Hellen richtig verstanden habe.«
    »In etwa.«
    »Habe ich dir doch gesagt, Schatz.« Er schaute seine Frau an. »Eine Art Gewerkschaftsführer.«
    Alexander legte keinen Wert darauf, ihn zu berichtigen.
    Um sich nicht erneut ins Gehege zu kommen, wich man auf Nebenschauplätze aus. Jannings erzählte von New York, den vielen Museen, dem Kunst-und Kulturangebot; Alexander von der BAM, der Trassenführung und den Schwierigkeiten während des Baus. Jannings schwärmte von Feinschmeckerlokalen, mondänen Urlaubsorten, exklusiven Geschäften und von seinem teuren Auto. Alexander von der Weite der Tundra, den Ewenken und ihrer Kraft, die sie aus der Geduld, aus dem Warten schöpften.
    Eine Stunde vor Mitternacht verabschiedete sich Alexander.
    »Was wirst du in den nächsten Tagen tun?«
    »Mir die Bundesrepublik anschauen und die Heimat meiner Vorfahren.«
    »Wo stammen Sie her?« Jannings schaute auf die Uhr.
    »Von der Mosel, nahe der französischen Grenze.«
    »Und wo kann ich dich erreichen?« wollte Hellen wissen.
    »In meinem Hotel in Düsseldorf.«
    »Ruf mich doch mal zwischendurch an, ja?«
    Alexander versprach es, Jannings ging schon ins Haus. Ihm war kühl.
    »Alex, bitte sieh es ihm nach. Du bist für ihn ...«
    »... der Eindringling. Und was bin ich für dich?«
    Sie küsste ihn.

    Am kommenden Vormittag, in Kirensk war es bereits Abend, telefonierte Alexander zuerst mit Leonid. Der Georgier versicherte ihm, es sei alles in Ordnung. Wie es denn in Deutschland laufe, und wieso er auf die hirnverbrannte Idee gekommen sei, einfach nach Westen zu verschwinden, ohne ihn zu benachrichtigen.
    Zufriedenstellend, antwortete Alexander ausweichend. Leonid, dessen Stimme klar und deutlich klang, als säße er in einem Nebenraum - die gute Verbindung war zurückzuführen auf die Olympischen Spiele in Moskau, man hatte auch entsprechend einer IOC-Auflage für ausreichend Kommunikationsmöglichkeiten zu sorgen -, hörte die feinen Nuancen heraus.
    »Fühlst du dich wirklich wohl in der neuen Welt?«
    »Nicht so ganz.«
    »Und deine große Liebe? Ist sie etwas verblasst?«
    »Nein, im Gegenteil.«
    »Das freut mich für dich. Alexander, lass dir nichts vormachen. Frauen sind manchmal so ... Versprichst du mir das?«
    Die treue Seele Leonid. Schön zu wissen, dass sich wenigstens einer um ihn sorgte.

    Alexander begab sich auf eine kleine Rundreise durch Deutschland. Als erstes besuchte er die Region, aus der seine Vorfahren stammten. In einem Mietwagen fuhr er die Mosel entlang, keinen der vielen Mäander ließ er aus. Die Landschaft mit den Weinbergen gefiel ihm. Was ihn besonders beeindruckte, war die Sauberkeit. Gepflegte Häuser und Vorgärten, frisch gestrichene Zäune, die Straßen ohne Schlaglöcher. In jedem Restaurant suchte er zuerst die Toiletten auf. Wie in Japan, murmelte er. Die Kulturstufe einer Nation zeigte sich für ihn am Zustand der Toiletten.
    Durch Konz fuhr er, eine Stadt am Zusammenfluss von Mosel und Saar. Hier wohnten noch ganz entfernte Verwandte von ihm. Von dort ging es weiter ins Hinterland nach Wawern, einem kleinen Dorf. Die Urgroßeltern seines Großvaters stammten aus diesem Ort, wenn er sich recht erinnerte. Im Koffer seiner Mutter hatte er eine weit zurückreichende Ahnenaufstellung gefunden. Er stieg aus dem Auto und wanderte bis zur Kirche. Irgendwo in der Nähe musste das Geburtshaus sein. Er fragte eine ältere Frau, die mit einem Glas Weihwasser aus dem Portal trat. Die erste
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