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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition)
Autoren: Edwin Klein
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Restaurant gegenüber. Sie waren zu so früher Stunde die einzigen Gäste und kamen sich in dem hohen weitläufigen Saal mit den vertäfelten Wänden, der Stuckdecke und den wuchtig geschwungenen, an Ketten hängenden Messingleuchtern verloren vor. Argwöhnisch von der Bedienung beobachtet, wagten sie nicht, sich an den Händen zu fassen.
    Lauwarm war der lieblos servierte Kaffee und dünn, weich und zäh das Brötchen, mit dem stumpfen Messer kaum zu teilen. Dazu gab es fette Wurst und eine undefinierbare gelbliche Marmelade. Hellen hatte keinen Appetit, aber Alexander schmeckte es hier immer noch besser als in der Mensa der Universität.
    Um die Situation zu entkrampfen, fragte er: »Wann geht deine Maschine?«
    »Willst du mich loswerden?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Kurz nach vier.«
    »Dann haben wir noch etwas Zeit für uns.«
    »Zur Pressekonferenz muss ich aber im Hotel sein.«
    Wenig später das gleiche Spiel wie am Abend zuvor, nun jedoch in umgekehrter Richtung. Verstohlen quetschte sich Alexander am Empfang vorbei. Auch hier begegneten ihm die gleichen misstrauischen Blicke wie im Frühstücksraum, und er hatte den Eindruck, jeder müsse sein Fehl verhalten sofort erkennen. Aber weil er und Hellen sich in Deutsch unterhielten, wagte niemand, ihn trotz seiner russischen Standardkleidung aufzuhalten.
    Ein Schwung Reporter und Kameramänner betraten das Foyer, lärmten mit der Wichtigkeit ihres Berufes und begannen, ihre Geräte aufzubauen
    Draußen in der Oktoberkälte schlug ihnen der Straßenlärm entgegen, die Abgase der schweren Lkw reizten die Schleimhäute. Menschen, den Kopf gesenkt, hasteten vorbei und beachteten sie nicht. Automatisch wählte Alexander den Weg zum Roten Platz.
    Die Morgensonne stand tief, und ihre langen Schatten liefen vor-
    weg, als wollten sie ihnen den Weg zeigen. Plötzlich eine Trillerpfeife. Alexander, der dieses Geräusch nur zu gut kannte, zuckte zusammen. Ein Polizist in grauer Uniform stand am Straßenrand und hielt einen Betrunkenen fest.
    Bereits nach wenigen Sekunden stoppte ein Kleinbus, zwei Milizionäre sprangen heraus, einer schlug dem Betrunkenen mit dem Knüppel auf die Schulter. Der stöhnte, sackte zusammen und wurde brutal in den Bus geschleift. Einer der Grauröcke deutete in ihre Richtung, die beiden anderen sprinteten los, liefen an Alexander vorbei und griffen sich zwei weitere Betrunkene, die gleich neben dem Eingang des Kaufhauses GUM standen und stumpf vor sich hin stierten. Im Spezialgriff wurden sie zu dem langsam heranrollenden Bus geführt. Die Hecktür wurde zugeknallt, und schon war das Fahrzeug verschwunden.
    Hellen sah Alexander an. Er zuckte mit der Schulter, schließlich kannte er das Vorgehen der Obrigkeit. Vor wenigen Wochen erst hatten Milizionäre in der Lomonossow-Universität mit vielen Stockhieben eine spontane Demonstration von Studenten aufgelöst, die sich lediglich wegen des Essens beschweren wollten und für einige Minuten die Mensa blockiert hatten. Achtzehn Kommilitonen hatten sich im Krankenhaus behandeln lassen müssen, sieben waren später ins Gefängnis gewandert.
    »Schau doch nur, keiner der Passanten hat reagiert.«
    »Und du auch nicht«, entgegnete sie.
    »Was hätte ich tun sollen?«
    »Eben.«
    »Wir sind hier nun mal mitten in der Hauptstadt, und die hat sauber und frei zu sein von allem Abschaum.«
    »Sind Betrunkene Abschaum?«
    Er schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Aber man hat Angst, die wenigen westlichen Besucher könnten von uns ein falsches Bild bekommen.«
    Indem er Hellen in Moskau herumführte, hier und dort eine Bemerkung machte, als sei er ihr Reiseführer, bemühte er sich, den Vorfall zu verdrängen. Sie spazierten über den Kalinin-Prospekt, vorbei an neuen, schräg zur Straße stehenden halbfertigen Gebäuden aus Glas und Beton. Zwanzig Geschosse und mehr, wie auf dem Kopf stehende Schuhschachteln, mit Balkons, als hätte man sie einfach angeklebt. Und am Ende der Prachtstraße dominierte das im Zuckerbäckerstil der fünfziger Jahre errichtete Hotel Ukraina.
    Einmal hatte Alexander den Eindruck, sie würden beobachtet. Als er jedoch erneut über die Schulter blickte, war der Mann verschwunden .

    Im Foyer des Hotel National wimmelte es von Menschen, der Kleidung nach überwiegend aus dem Westen. Alexander bemerkte aber auch einige sich unauffällig gebende, gedrungene Männer in den typischen dunklen Anzügen, die immer und überall anzutreffen waren, wenn es galt, den Staat zu schützen
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