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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition)
Autoren: Edwin Klein
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Mann auf sie zu, eindeutig einer aus dem Westen, wie Alexander an dem Anzug erkannte.
    »Kann ich dich bitte einen Augenblick sprechen?« fragte der gut Dreißigjährige und beachtete Alexander nicht.
    »Muss das ausgerechnet jetzt sein, Ingo?«
    »Bitte.« Er deutete auf die verspiegelte Bartheke.
    Hellen folgte ihm widerstrebend, und Alexander konnte beobachten, dass ihr Gespräch erregt verlief.
    »Ich bin nicht dein Eigentum«, hörte er Hellen sagen. »Außerdem kann ich küssen, wen ich will.« Mit schnellen Schritten kam sie zurück. Ingo schaute noch eine Weile in ihre Richtung. Sein unfreundlicher Blick wurde durch eine geballte Faust unterstützt, die er mit der Rechten umschloss, als wollte er sie verstecken.
    »Wer war das?«
    »Ingo Jannings, ein aufstrebender Manager in meiner Firma, der eigentlich froh sein darf, dass man ihn mitgenommen hat.«
    »Was wollte er?«
    Hellen wandte sich ab. »Dieser eifersüchtige Kerl«, stieß sie hervor. »Lässt mich nicht in Ruhe, betrachtet mich als Beute und stellt mich bei allen Gelegenheiten als seine Freundin vor. Überall läuft er mir nach.«
    »Dein ... Geliebter?«
    »Pah.« Sie warf den Kopf zurück. »Der? Nie und nimmer. Er ist berechnend und arrogant, eine sehr gefährliche Mischung.«
    »Glaubt er, Rechte zu haben?«
    »Vor einem Jahr, auf der Weihnachtsfeier, da haben wir uns geküsst, anschließend sind wir einige Male ausgegangen. Das war auch schon alles.«
    Mitternacht war längst vorbei, als sie vorschlug, noch einen Spaziergang zu machen. Ingo Jannings saß im Foyer und tat so, als lese er in einer Zeitung. Am Kaufhaus GUM vorbei schlenderten sie über den Roten Platz.
    »Siehst du die Soldaten dort?« Er deutete nach rechts. »Sie bewachen das Lenin-Mausoleum. Eine tolle Ruhestätte, teuer und klimatisiert, da lohnt sich das Sterben. Leider kannst du bei der Dunkelheit nicht den braunroten Porphyr und den schwarzen Granit erkennen.«
    »Stehen die etwa die ganze Nacht herum?«
    »Nein. Hast du schon mal das Schauspiel der Wachablösung beobachtet?«
    Hellen schüttelte den Kopf. »Wann ist es so weit:«
    »Jede volle Stunde «
    Es war nasskalt, sie vertraten sich die Füße und beobachteten dabei die Uniformierten, die regungslos auf der Stelle verharrten. Kurz vor ein Uhr kamen zwei weitere und ein Wachoffizier aus dem Erlöserturm, einem der für Touristen gesperrten Hauptzugänge des Kremls, und marschierten in verzögertem Stechschritt: über den Roten Platz.
    »Es ist aber noch nicht ein Uhr.« Hellen hakte sich bei ihm unter. Von der Seite sah er sie an. Ihr Haar duftete und kitzelte an seinem Kinn, denn sie war etwa ein halber Kopf kleiner als er.
    »Warte ab. Das Ritual dauert exakt zwei Minuten und 45 Sekunden.«
    Beim Schlag der Kremluhr vollzog sich die Ablösung der Ehrenwache direkt vor dem Zugang zu Lenins Grabkammer. »Wie Marionetten.«
    Vor dem Hotel verabschiedete er sich.
    »Sehen wir uns wieder? Kommst du mich abholen«
    »Ja ... gerne ...«, stotterte er.
    »Aber nicht wieder in den Zirkus. Sagen wir um 18 Uhr?«
    Busse und U-Bahnen fuhren nicht mehr um diese nächtliche Stunde, ein Taxi war ihm zu teuer. So marschierte Alexander trotz Nieselregens die fünf Kilometer bis zur Universität zu Fuß. Auch weil er die Zeit und die klare Luft brauchte, um seine Gedanken zu ordnen. Was will sie von mir, fragte er sich unentwegt. Ein Abenteuer? Eines mit entsprechender Konversation, weil ich zufällig deutsch spreche? Ist Hellen eine westliche Katharina? So bezeichneten seine Mitstudenten in Anlehnung an die berüchtigte große Zarin - sie kaufte sich ihre Liebhaber - abfällig die feinen Damen aus dem kapitalistischen Ausland, die auf eine kurze Liaison aus waren. Obwohl keiner seiner Bekannten jemals in die Verlegenheit gekommen war, den Galan spielen zu müssen - die meisten hätten es bestimmt mit Vergnügen getan -, kursierten die wildesten erotischen Gerüchte um liebestolle Besucherinnen und unersättliche Ehefrauen westlicher Diplomaten.
    »Und wenn schon«, murmelte er trotzig vor sich hin. »Dann soll sie eben ihre schönen Stunden haben.«

    Geweckt wurde er durch das metallische Ratschen des Schlüssels, hart schwang die Tür auf. Während eine Stimme »Aufstehen!« bellte, ging das Licht an, grell und unbarmherzig.
    Alexander rappelte sich hoch und wusste im ersten Augenblick nicht, wo er sich befand. Als ihn der Wachmann jedoch am Arm packte und aus der kleinen Zelle zerrte, wurde er sich sofort seiner Lage bewusst.
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