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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition)
Autoren: Edwin Klein
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Antworten erschöpften sich immer in der Floskel: »Jawohl, Genosse Major.«
    »So, so, bei den Komsomolzen sind Sie also auch.«
    »Jawohl, Genosse Major.«
    »Aktiv?«
    »Jawohl, Genosse Major.« Alexander erzählte von seinem Beitritt in den Kommunistischen Jugendverband Komsomol im Alter von vierzehn Jahren und seinen verschiedenen Einsätzen, besonders während der Ernte.
    Das schien den Major zu beeindrucken. »Viele treten dem Komsomol bei, um ... Privilegien zu genießen«, gab er jedoch zu bedenken.
    »Ich nicht, Genosse Major.«
    »Nein?«
    »Ich war auch Mitglied bei den Lenin-Pionieren.«
    Der Major blätterte in der Akte. »Davon ist nichts vermerkt.«
    Ohne aufgefordert worden zu sein, begann Alexander den Eid aufzusagen, den der angehende Pionier öffentlich abzulegen hatte. »In Anwesenheit meiner Kameraden gelobe ich, ein Junger Pionier der Sowjetunion, feierlich, meine Sowjetheimat leidenschaftlich zu lieben, und zu leben ...«
    »... zu lernen und zu kämpfen, wie es uns der große Lenin befahl und wie es uns die Kommunistische Partei lehrt«, fuhr der Major fort.
    Alexander war irritiert, als man ihn wieder abführte. Gegen Abend wurde er unruhig, denn er wäre längst wieder fällig gewesen. Wo blieben die Wachen:
    Obwohl todmüde, konnte er nicht einschlafen. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen und war gleichzeitig beruhigt: Sie kommen. Endlich. Aber sie kamen nicht. Überhaupt kam niemand, mit Ausnahme des Postens, der ihm schweigend das Essen durch die Klappe schob und zehn Minuten später den leeren Blechteller wieder einsammelte.
    Die Ungewissheit setzte ihm zu und wurde Alexanders ständiger Begleiter. Anfangs noch verbrachte er die meiste Zeit zusammengekauert auf der Pritsche. Unbewusst rollte er sich zur Wand, weil sie ihm Schutz versprach. Aber die Gedanken, die in seinem Kopf kreisten, hatten keine Wand, an der sie sich orientieren konnten. Es war schon ein großes Maß an Boshaftigkeit auszumachen, wie sich einer immer wieder vormogelte und quälend wissen wollte: »Warum bist du eigentlich hier? Das Muss alles eine Verwechslung sein.«
    Da seine innere Rastlosigkeit ständig zunahm, er nicht mehr tatenlos herumliegen konnte, begann er, eine Hand am Hosenbund, in seiner Zelle umherzuwandern. Stunde um Stunde. Zwölf Fuß maß sie in die eine Richtung, in die andere sieben. Neben dem Fenster befand sich in der Ecke eine Mulde und mittendrin ein Loch, aus dem es permanent stank: die Toilette. Was für ein schönes Wort für diese hässliche, dunkle, verschmierte Öffnung mit den braunen Verkrustungen, aus der in der Nacht die Ratten krochen. Und neben diesem Loch stand ein verbeulter Eimer mit Wasser, den man ihm jeden Morgen in die Zelle stellte. Zum Waschen, zum Zähneputzen-in Ermangelung einer Bürste tat er das mit den Fingern -, und um den Rest schubweise in das Loch zu schütten, damit der Gestank einigermaßen erträglich blieb.
    Alexander lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ die Finger über das raue Mauerwerk gleiten, als müsse er sich überzeugen, dass sein Tastsinn noch funktionierte; das Zeitgefühl hatte er längst verloren. War es Tag? War es Nacht?
    Er untersuchte die grüne Metalltür mit den verschraubten Verstrebungen, als legte er es darauf an, ihre Festigkeit zu überprüfen. Es war jedes Mal eine Erlösung, wenn die Klappe aufschwang, der Posten ihm wortlos sein Essen hinein schob, oder wenn morgens die Tür geöffnet wurde, um einen neuen, mit Wasser gefüllten Eimer in Empfang zu nehmen. Wie gerne hätte Alexander ein menschliches Wesen gesehen, aber er musste sich stets mit dem Gesicht zur Wand stellen. Als er sich dennoch einmal erdreistete, einen Blick über die Schulter zu werfen, sauste der Stock auf seinen Hinterkopf, dass ihm schwarz vor Augen wurde.
    Alexander wusste nicht, wie viele Tage oder Wochen er schon in seiner Zelle zugebracht hatte. Deshalb kam es ihm wie die Befreiung aus einer langen Isolation vor, als die Uniformierten endlich wieder auftauchten und ihn eine Stimme angiftete: »Aufstehen, mitkommen!«
    Alexander sprang von der Pritsche hoch und stürzte nach draußen auf den Gang. Don zeigte sich, wie viel Kraft ihn die Zelle gekostet hatte, er konnte mit den beiden Wachposten kaum Schritt halten. Immer wieder spürte er deshalb den Stock im Rücken.
    »Eine Marlboro.«
    »Jawohl, Genosse Major.«
    Gierig sog Alexander den Rauch ein und hustete, weil er ihn nicht wieder entweichen lassen wollte. Der Offizier grinste, wobei
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