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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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den Eheleuten war noch immer von derselben exquisiten Höflichkeit und Liebenswürdigkeit wie in ihrer Brautzeit. Alfons blickte, wenn er seine Frau zu einem frugalen Abendessen in die zugige Halle führte, Amalia aus so brennend hypnotischen Augen an, als wolle er sie überzeugen, daß nur die Luftbrücke zwischen ihnen Realität sei, alles widrige Drumherum Trugbild und als müsse Amalia auch das ihre tun, diese Fiktion aufrechtzuerhalten, und dürfe auf keinen Fall durch ein Wort der Klage, einen Hinweis auf ihr aussichtslos erbärmliches Leben den Zauberbann brechen, durch den er sich eine Konfrontation mit den Realitäten vom Leibe hielt. Sie lernte, die stumme Verleugnung der Welt aufrechtzuerhalten; die Kraft, mit der seine Augen sie in eine Art Levitation versetzten, in der ihre Füße den schmuddeligen Boden der Tatsachen nicht mehr spürten, war ein letztes Echo der Kraft, die er gezeigt hatte, um sie zu erringen.
    Amalia tat ihm den Gefallen, nie mit Worten an dieser
Fiktion zu rühren. Was sie nicht hinderte, die verfahrene Situation in aller Deutlichkeit zu empfinden. Sie war Alfons gefolgt, weil sie einem Elan, der so ganz ihr galt, nicht hatte widerstehen wollen oder können. Freilich hatte sie erwartet, daß diesem Anfangsschwung irgend etwas folgen werde. Sie sah die Schwäche ihres Mannes, seine – sagen wir es deutlich – Unfähigkeit, den Alltag zu meistern, ganz ungeschminkt. Sie war ein anderes, ein komfortableres Leben gewohnt gewesen, aber während ihre Situation immer elender wurde, eignete Amalia sich den stoischen Hochmut ihres Gatten an, und ein Bewußtsein ihrer eigenen Kraft keimte in ihr und wuchs. Vorerst war es mehr ein schlummernder Schatz, ein unterirdisches Feuer, aber das wärmte sie in der klammen Kälte des Exils von innen heraus. Sie wußte, sie war ihrem Mann überlegen. Mit jedem Tag, den sie Alfons’ Verfall zusah, wuchs ihr Selbsterhaltungswille. Sie leugnete die Wirklichkeit auch tapfer weiter, als es kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes, einer auf den Namen Amélie Viktoria Elisabeth Charlotte getauften Tochter, nun nicht einmal mehr vor sich selbst zu verheimlichen war, daß Alfons an Schwindsucht litt und der Horizont seiner Zukunft sich zusammenzog. Es wurde kein Wort darüber verloren. Eigentlich, sagte der Baron, einen Wollschal um den Hals, zitternd beim Frühstück, während der Nordwind durch die Mauerritzen pfiff, eigentlich wäre nun eine Beförderung zum Obersten fällig und die Versetzung nach Paris. Meinst du nicht auch? Sie müßte eigentlich jeden Tag eintreffen. Was hältst du von Paris? Ich kann es kaum mehr erwarten. Aber es war ja auch hier ganz schön, nicht wahr?
    Gewiß, sagte Amalia. So schlecht war es hier nicht. Sie sah ihren Gatten liebevoll an. Ja, sie liebte ihn. Sie verachtete seine Schwäche und war enttäuscht von seinem Mangel an Fortüne, sie verabscheute ihn um ihrer betrogenen Hoffnungen willen. Sie stellte fest, daß dies die ersten tiefen Gefühle waren, die sie für ihn empfand. Und man braucht
konkrete Gefühle für den anderen, die man dann Liebe nennen kann, denn »Liebe« ist ein Sammelbegriff für eine Kombination exakterer Empfindungen, die ganz widersprüchlich sein können und die mit dem großen Wort, das wie ein Hut über sie geworfen wird, im allgemeinen nur mundtot gemacht werden.
    Im Spätherbst 1697, der Friede von Rijswijk war soeben unterzeichnet worden und das Fort verlor seine strategische Position im umkämpften Kriegsgebiet, starb Alfons von Neuhoff, und seine Witwe zog mit ihren Kindern und der Amme Minne fort und kaufte vom Rest ihres Geldes ein Haus auf dem Land am Rande des Argonnerwaldes.

Zweites Kapitel
    Die Gräfin von Mortagne, eine überzeugte Provinzlerin, der nichts entging, was sich bei ihr auf dem Lande zutrug, schrieb ihrem Gatten, dem Kämmerer Monsieurs , mit dem sie ein hauptsächlich epistoläres und daher offenes und harmonisches Eheleben führte: »... und übrigens spricht hier jeder von einer Dame aus offenbar deutschem Adel, die völlig verarmt in einer Strohhütte leben und, während sie kein Kleid zum Wechseln besitzt, doch all ihre Zeit und Energie außer der Erziehung ihrer zwei Kinder den Armen und Kranken des Kantons widmen und keine Messe versäumen soll. Die Bauern nennen sie die ›Schwarze Madonna‹, da sie nicht davon abzubringen ist, Trauer zu tragen, obwohl ihr Mann, ein Offizier der königlichen Armee, schon vor Jahren das Zeitliche segnete, wenn ich recht informiert
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