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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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wörtlichen Wiederholungen von Amalias Klagen -, fuhr sie ihm über den Mund oder schlug ihn darauf und begann zu weinen aus Verzweiflung darüber, daß der Sohn das Andenken des Verklärten beschmutzte.
    Dennoch wurde Theodor die Gesellschaft seiner Mutter nie über. Sie ersetzte ihm nicht etwa die Welt, sie war ihm die Welt, und deren Pole waren seine eigene Größe und Nichtigkeit. Er sah keine Notwendigkeit, sich nach einer anderen umzutun, lebte beständig in ihren Erinnerungen und Visionen, ausschließlich im Einst, gleich in welche Richtung es ging. Die Gegenwart war lediglich ein bequemer Hochsitz, von dem aus man die Aussicht auf Vergangenheit und Zukunft genoß.
    Gerne beobachtete Theodor seine Schwester bei der Gartenarbeit und empfand dabei ein wohliges Gefühl im Nacken, als werde er gekrault. Sie kniete auf der Erde und zupfte Unkraut und sah und hörte ihn nicht. Er betrachtete die stille Hingabe und Konzentration mit neidlosem Wohlgefallen, so wie ein Handwerksmeister das Können des Kollegen einer anderen Zunft schätzen mag. Ihre Zunft war das Leben. Und seine?
    Amélie war seine einzige Vertraute, sein einziger Freund, er liebte und bewunderte jedes ihrer raren Worte, jede ihrer
in sich ruhenden Bewegungen. Wieviel schöner als alles Sorgen und Tun war dieser Körper, der da im grauen Kattunrock vor dem Beet kniete, dieses herzförmige Gesicht, das zum Schutz vor der Nachmittagssonne unsichtbar im Schatten eines breitkrempigen Strohhuts lag! Diese sehnigen, braungebrannten Unterarme und die kräftigen Hände, die über die trockene Erde glitten, am Fuß einer Distel zu graben begannen und dann mit einem Ruck die Wurzel ausrissen, die wie ein nackter weißer Wurm aussah und fast eine Elle maß. Neben ihr stand der große Korb aus Weidenruten, in den sie das Unkraut warf, und den sie, wenn er voll war, unter den Arm nahm und zum Komposthaufen trug, während Theodor die angespannten Muskeln und Sehnen auf ihrem den bauchigen Korb umfassenden Arm betrachtete.
    In solch träumerischen Stunden verlor er alle Erdenschwere und war nur noch ein Paar Augen, das voller Sympathie und innerer Zustimmung auf seiner Schwester ruhte, als genüge es vollauf, daß sie für sie beide lebte und agierte. Was sollte er heute noch lernen oder anfangen, Unkraut zu zupfen, wenn morgen schon das Große, das Unbekannte ihn erwartete und eine gewisse vorbereitende Andacht erheischte.
    Diese Hälfte des Lebens, die im Hier und Jetzt angesiedelt war und im Schneckentempo ihrer Alltagsverrichtungen immer verblieb, war die Amélies. Die andere, der zwischen der Flüchtigkeit der Erinnerungen und der Sehnsucht nach dem Kommenden die Ruhe fehlte, hier und heute irgendwelche Interimsbeschäftigungen anzufangen, war die seine. Er wußte sehr wohl, daß er einem meskinen Geist, der blind war für seine sensible Konstitution und seine Bestimmung, als verträumter Faulpelz erscheinen mochte, und wenn er eine solche Bezeichnung auch unangemessen und verständnislos gefunden hätte, so wäre er
doch der erste gewesen zu bestätigen, daß von ihnen beiden Amélie den vertrauenswürdigeren Kompaß im Kopf hatte, das sicherere Urteil, das größere Herz besaß, kurz: daß sie der bessere Mensch war. Und niemandem gönnte er es mehr als seiner Schwester, ein besserer Mensch zu sein als er. Die Gaben waren schon gerecht verteilt zwischen ihnen: Sie war ihrer Mutter Stütze und er ihr Stolz.
    Er stand auf, nahm Amélie bei der Hand und sagte: Komm, laß uns Königskinder spielen.
    Seine Schwester seufzte über die Launen ihres manchmal gar zu kindsköpfigen Bruders, aber der feste Griff seiner Hände auf ihren Schultern und sein sinnlicher Faunsblick – sie mußte an die mythologischen Stiche denken, auf denen langbewimperte Knaben dem trunkenen Gott Trauben reichten – becircten sie. Wie ihrer Mutter war es Theodor gegeben, einen mit seinen hypnotischen Augen in Samt und Seide zu hüllen, daß man die Gartenarbeit und alles vergaß und sich zur Prinzessin wandelte unter seinem behutsamen, achtungsvoll zärtlichen Fingern.
    Königskinder besaß verschiedene Spielarten, wortlastige und phantasievolle, in denen die beiden würdig und gesetzt ihre Parks und Ländereien durchschritten, links und rechts huldvoll Bäume, Schafe und ahnungslose Bauern grüßten und in allen Sprachen, die sie fließend oder auch nur bruchstückhaft beherrschten, einschließlich einer grausamen, mit gurgelnden Rachen- und Nasallauten gespickten Parodie auf den
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