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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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schwenkbar, wird herbeigetragen. Die Kerzen verdoppeln sich, schwanken, gleiten vorüber, verschwinden, tauchen wieder auf und neigen sich, ohne zu tropfen.
    Stellt sie so, daß man sich von beiden Sesseln aus darin sehen kann und verschwindet.
    Der Kerl im Spiegel schaut mich an wie ein verwachsener, schwachsinniger Onkel, den man vor den Gästen verleugnet, aber nicht aus dem Haus gibt, weil man das Geheimnis gemeinsamer Untaten mit ihm teilt. Das Haar ist ergraut und nicht mehr sehr dicht, kurzgeschoren, um den Läusen keine Winterstatt zu gewähren. Ein hartes Gesicht, muß ich sagen, keine Spur von Altersweisheit (allerdings ist auch der Spiegel nicht von erster Qualität). Trotzdem liebe ich es mit zärtlichem Mitleid wie einen alten Schoßhund, der nur noch auf dem Schaffell liegt und das Wasser nicht mehr halten kann. Es ist ein Gesicht, das keine Hoffnung mehr zuläßt auf irgendeine Zukunft.
    Dabei habe ich immer auf etwas gehofft, an etwas geglaubt, über uns, das die Geschicke lenkt. Wenn aber wir Menschen selbst alles bewegen müssen in diesem Leben und nicht der Allmächtige, dann kann einen keiner freisprechen als man selbst.
    Die Verantwortung, die in dieser Leere aufschimmert, bis zum Grunde durchzudenken, wäre eine Aufgabe, für die ich jetzt zwar Zeit hätte, aber immer noch ebensowenig Lust wie je zuvor und auch nicht genügend analytischen Verstand. Da ist dieser blinde Fleck, dieses Flimmern und Verschwimmen, sobald ich mich der Haut eines Gedankens nähere, oder, nebenbei gesagt, der einer Frau.
    Ich gestehe, ich habe nie über etwas anderes nachgedacht als über mich selbst. Ich bin geschwätzig, aber brillant.
    Wichtiger als alles Nachdenken ist ohnehin das Geld, ich weiß, wovon ich rede. Ein gedeckter Kreditbrief gleicht
einer eigenen Loge im Theater: Die Katharsis ist bezahlt, und man kann schon in der Pause gehen, um rechtzeitig beim Souper zu sein.
    Ich blicke wieder auf die Psyche, aber jetzt sehe ich dort das Gemälde und kann die Augen schließen. Es soll das letzte sein, was ich sehe, und ganz zum Schluß werde ich es verstehen.
    Da ist die gewitterverhangene, sonnige Landschaft, die ich zum ersten Mal in Venedig erblickte. Am rechten Flußufer die das Licht abstrahlenden Häusermauern, darüber der Himmel, grün vor Spannung und Ballung, und ein erster Blitz zuckt aus den Wolken. Im Vordergrund die junge Schönheit, nur ein Tuch um die Schultern, die ihr Kind säugt. Ihr leicht abgespreiztes linkes Bein ist im Knie gebeugt, und der Fuß streicht im Versuch, den Körper abzustützen, wie ein Perlmuttkamm durchs Gras. In heiterer Gleichmut blickt sie den Betrachter an, oder besser: durch ihn hindurch.
    Wen sie nicht ansieht, das ist der Wanderer, der Stadt und Gewitter hinter sich läßt, im Gehen innehält, sich auf seinen übermannshohen Stab stützt und lächelnd zu ihr hinüberschaut. Er trägt ein weißes Hemd und eine offene, rote Schaube darüber. Seine kurzen Pluderhosen sind reich gemustert, seine rechte Hand streichelt sinnend den Wanderstab. Die Spannung, der Abstand zwischen den beiden, in die der Blitz leuchtend fährt, schreit nach einer Auflösung wie ein disharmonischer Akkord.

Erster Teil
    »Tout notre raisonnement se réduit à céder au sentiment.«
    Pascal

Erstes Kapitel
    Es herrschte Geselligkeit im Hause Pujol. Die Eichentür im Erdgeschoß, das die Kontorräume beherbergte, stand offen, gemietete Fackelträger leuchteten den Eintreffenden heim, als ob’s dessen bedurft hätte bei all dem Lärm und den Düften, die das spitzgieblige Haus verströmte. Die Glocke ging ohne Unterlaß, und das Mädchen oben auf dem Treppenabsatz hielt die Arme auf und nahm Mäntel, Umhänge und Hüte in Empfang.
    Zwischen der Küche, wo Schweine und Fasane brieten und Pasteten garten, und dem Saal war ein stetes Kommen und Gehen der Aufwärter, deren schwankende Silbertabletts voller Hühnchen und Kuchen, Quiches, Weinkaraffen, Gläser und Bierhumpen spanischen Galeonen glichen, die von korsarischen Händen schon leergeplündert waren, bevor sie noch ihren Bestimmungsort erreichten.
    Gelbgrüne Lichtsprenkel aus den Butzenscheiben scheckten den weiten, hohen Raum, Falbalas schabten übers geschrubbte Parkett, Rhingraves raschelten, wenn jemand sich verstohlen zwischen den Beinen kratzte, fächelnde Damen gluckten zusammen, pfeifeschmauchende Männer postierten sich vor dem Kamin. Wo stehen heut’ die Preise für Wolle aus Verviers? Ist die Belagerung Brüssels endlich
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