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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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wie eine Metapher: alles ausdrückend, nichts preisgebend. Ihr Gang, ein wenig breitbeinig, fast seemännisch wiegend, widersprach dem Bild einer Dame, ohne dem Eindruck des Reizvollen Abbruch zu tun, genauso wie Amalias ungezupfte, von Natur aus kräftige Augenbrauen, die ihre ganze Mimik beherrschten, so daß der Betrachter sich zunächst nur auf sie konzentrierte, bevor er die Augen selbst und die rosigen Lippen wahrnahm. Dieser dichten und beweglichen Brauen wegen durfte man sie schwerlich eine Schönheit à la mode nennen, aber, sagte sich Alfons, was gibt es Langweiligeres als die Perfektion?
    Die widersprüchlichen Eindrücke setzten sich fort, sobald Amalia auf ihrem Schemel saß und zu spielen begann.
    Sie hockte da mit weit gespreizten Beinen, zwischen die sich der warme Holzleib des Instrumentes schmiegte, und strich den Bogen mit kräftiger Armbewegung. Der Anblick erinnerte Alfons an eine Bäuerin, die ein Lamm im Schwitzkasten hält und schert, aber die dabei produzierten Geräusche waren kein panisches Blöken, sondern eine heisere Melodie, die zusammen mit den geschlossenen, wie nach innen horchenden Augen, den gerunzelten Brauen und dem klaffenden Mund einen Anschein von Wissen hervorrief – von Erfahrung und Genuß -, auf den Alfons’ Schweißdrüsen mit alarmierter Tätigkeit reagierten.
    Es ist ja nicht der Mensch als solcher, der unsere Lust entfacht, Alfons hatte Monate an Amalias Seite verbracht, ohne jemals andere als brüderliche Gefühle für sie zu empfinden, sondern ein plötzliches Aufbrechen in unserer Wahrnehmung, eine leichte Verschiebung der Perspektive. Mit einem Mal scheint die Schale, die wir bis dahin ausschließlich gesehen haben, sich zu öffnen, und der verborgene Kern, die Frucht offenbaren sich.
    Jener Ausdruck angespannter Verzückung auf Amalias Gesicht, den wollte er wieder und wieder sehen, und vor
allem wollte er ihn hervorrufen und selbst den Platz der Gambe zwischen ihren Beinen einnehmen. Mit steifen Fingern drückte Alfons seine Akkorde, bis Amalia ihm auf die Schulter klopfte und Aufhören, Alfons, rief, das Stück ist zuende.
    Verliebt in Amalia auf eine brüderliche, unschuldige Weise war Alfons bereits gewesen. Diese Neigung war so sorglos, sie trug ihren Sinn und ihre Begrenzung ebenso in sich wie sein ganzes derzeitiges Leben, und es war Alfons bis zu diesem Abend nicht in den Sinn gekommen, mit ihr irgendwelche Pläne zu schmieden. Sie bestand aus Blicken, Scherzen, kurzen Berührungen der Hände, gegenseitigen Seelenergüssen und Anekdoten aus der Kinderzeit. Sie war wie ein Sommertag in den Dünen, wenn Wind und Meer rauschen und es keinerlei Notwendigkeit gibt, entdecken zu müssen, was jenseits der zwei, drei Sandhügel liegt, zwischen denen man spielt.
    Aber an diesem Abend störte der plötzlich erweckte erotische Impuls Alfons’ Seelenfrieden auf und träufelte ein wenig Unerfüllbarkeit und Hoffnungslosigkeit ins klare Wasser seiner harmlosen Geschwisterverliebtheit, die das Getränk im Nu in einen ungleich attraktiveren Bitter verwandelten.
    Zur selben Zeit, als im Nebenraum die Hausmusik erklang, der begleitende Alfons seine Lust auf Amalia entdeckte und das musizierende junge Mädchen ganz im säuberlich in Schwarz und Weiß geschiedenen Jansenismus der Saint-Colomb’schen Melodien aufging, ohne auch nur im entferntesten etwas von den Phantasien ihres Freundes zu ahnen oder selbst dergleichen zu empfinden, erschien endlich der von Pujol so dringlich erwartete Ehrengast des Abends, der Großbauer Xavier Hainaut.
    Ohne Umschweife steuerte er auf Pujol zu und winkte ihn ins Arbeitskabinett. Die Türen schlossen sich, und nach einiger Zeit trat Hainaut heraus und kletterte ebenso eiligen
Trippelschritts die Treppe hinab, wie er gekommen war. Die Festlichkeiten hatte er mit keinem Auge gewürdigt, auch die Tochter des Hauses nicht begrüßt. Der Gastgeber aber blieb verschwunden. All das erfuhr Alfons nach der musikalischen Darbietung, und da er von Natur aus kein Parzival war, klopfte er, nachdem die Gäste fort waren, bei Pujol an und fragte nach seinem Befinden.
    Es war schlecht und Pujol viel zu aufgewühlt, um seinem jugendlichen Freund nicht gleich seine Misere zu offenbaren, oder jedenfalls einen Teil davon, denn indem er seine Sorgen laut aussprach, ordneten sie sich auch in dem Kaufmannskopf, der damit wieder unterscheiden konnte, was man einem Außenstehenden verrät und was nicht.
    Lieber Meister Pujol, hat die Begegnung mit Ihrem Gast Sie
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