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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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Leutnant in der französischen Armee. Er war der Zankapfel seiner über die Maßen auf ihn stolzen Eltern.
    Das Leben im Schloß von Donnersfurth-Bruchmühle verhielt sich zu dem im Hause des Kaufmanns Pujol in Lüttich wie die Fasten- zur Karnevalszeit. Was waren die Neuhoffs letztlich anderes als Großbauern und Waldbesitzer? Der Krieg hatte ihre Knechte getötet, das Dorf verwüstet und die tributpflichtigen Kleinsassen in alle Winde verstreut. Er hatte die Kühe geschlachtet und die Pferde requiriert. Den Wald abgeholzt und den Speicher in eine Kloake verwandelt. Er hatte Fensterläden, Fuhrwerke, Tische und Schränke mitgehen lassen. Im Gemüsegarten wucherten die Disteln. Es gab mehr Galgen als Bäume, die Gesichter der Gehängten waren flügelschlagende Krähennester, und noch immer marodierten Truppenteile und Freikorps durch die Gegend, erstachen Männer, schlitzten ungetauften Säuglingen die Bäuche auf, um ihrer Seele den Flug ins Fegefeuer zu erleichtern, und pfählten die Frauen – es war eine wilde, versteppte Ödnis, durch die der fanatische Singsang der wandernden Mönche und das Geklingel der Pestkranken hallte wie über eine leere Bühne.
    Alfons’ Großvater hatte noch in der französischen Armee gedient und hielt aus jener Zeit ein Offizierspatent. Sein Vater, dessen Nase aus dem Golilla-Kragen ragte wie eine Muskete über die Brustwehr, kannte den Krieg zwar
nur als Knabe, war aber, wie das häufig vorkommt, eher noch martialischer gestimmt als der aktive Militär. Seine soldatische Kleidung war vor fünfzig Jahren in Mode gewesen, aber wer kümmerte sich um Mode in Donnersfurth-Bruchmühle? Wer scherte sich dort um Manieren, Tischsitten, um alles, was die Friedenszeit, die Stadt und der Austausch mit anderen an Verfeinerung hervorbringen?
    Um so erstaunlicher war es, daß Alfons in dem rußschwarzen, modrigen Haus zu einem hellen Glanz heranwuchs, der wie ein unerklärlicher Vor- oder Rückgriff in bessere Zeiten über mehrere Generationen hinweg erschien. Es mißfiel seinem Vater, daß sein Sohn gerne bei den Frauen saß, mit abgespreiztem kleinen Finger Schokolade trank und, seine Aufmerksamkeiten und seinen Charme salomonisch auf die jüngeren und die älteren verteilend, ein hauchzartes Spinnennetz aus Zuvorkommenheit und kleinen histoires wob, in dem die Weiber kleben blieben, so daß sie gar nicht mehr fortkamen von ihm.
    Er lernte Französisch und Latein schneller als Reiten; Holzhacken und Biersaufen lernte er nie, und sein Vater kaufte ihn, um seine Männlichkeit zu stärken, als Leutnant in die Armee König Ludwigs ein. Seine Mutter dagegen, die ihren Sohn hielt wie eine Lichtmonstranz in einem Tabernakel, träumte davon, einen Kirchenmann aus ihm zu machen, wenn auch von anderer Art als die krähengleichen Kapuziner mit ihren Fanatikergesichtern, die durch das wüste Land zogen wie Sensenmänner, oder die Pastoren, die seit dem obrigkeitlich verfügten Konfessionswechsel mit ihren schwindsüchtigen Frauen und zwölf Kindern die Pfarrhäuser des Sprengels füllten.
    Am Jesuitenkolleg in Lüttich verglich Alfons mit seinen Patres auf lateinisch die Meriten der Montespan mit denen der Maintenon und der Lavallière, die Abende bei Wein, Karten und Würfeln im Hinterzimmer des Ständesaals endeten im Morgengrauen, und im Hause Pujol ging er ein und
aus, eine Mischung aus Sohn und älterem Bruder für die junge Amalia, Ehrengast und Zierde des bürgerlichen Heims und mit jovialer Miene ertragene Beschwernis.
    Alfons war vor allem erleichtert, den Zwängen des Lebens von Donnersfurth-Bruchmühle entronnen zu sein. Die wohlhabende, hektische Stadt an der Maas mit ihren laut schreienden Händlern, leichten Mädchen, geistreichen Jesuiten und gediegen eingerichteten Bürgerhäusern war Alfons’ Bohème; der Leutnantstitel brachte außer einigen Pflichtaufenthalten bei der Garnison von Metz keinerlei Bürden mit sich, und nach einer steifen Jugend voller Erzählungen von Mord, Krieg, Not und Elend genoß er den Wartezustand, als den er sein Leben selbst empfand, hier in dieser komfortabel ausgestatteten Zwischenwelt in vollen Zügen. Er empfand ein Recht auf Sorglosigkeit und hatte, wie es vielen charmanten jungen Männern ergeht, die nur das Lächeln sehen, das sie auf die Gesichter in ihrer Umgebung zaubern, den Eindruck, die Welt gestehe es ihm gutwillig zu und empfinde nicht, daß er etwa von jemandes Langmut profitiere, sondern vielmehr, daß jeder Dienst zugunsten seines leichten
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