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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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in irgendeine Trauer oder Verlegenheit gestürzt, in der ich Ihnen hilfreich sein könnte, indem ich mich zu Ihrer Verfügung halte oder Ihnen einfach nur mein Ohr leihe, begann Alfons in seiner flamboyanten Art, die aus Höflichkeit und echter Großherzigkeit immer etwas mehr versprach, als sie hätte halten können und wollen.
    Sie sind ein guter Junge, Baron, meinte Pujol und erzählte, daß er mit seinem alten Bekannten und Lieferanten Hainaut schon seit Jahr und Tag die Heirat ihrer Kinder ausgemacht habe und daß dieser Vertrag heute habe beurkundet werden sollen.
    Es fehlte nicht viel, und er hätte sich von Alfons’ lauschenden Gesichtsausdruck hinreißen lassen, auch die finanzielle Notwendigkeit der Union zu erwähnen, den Schein des Wohlstands zu gestehen, den er mit Abenden wie dem heutigen aufrechterhalten mußte, um seinen Ruf zu wahren, aber in diesem Moment erschien ein Diener mit den Papageien und fragte, wohin er sie bringen solle, und Pujol entschied sich, von diesen Dingen zu schweigen.
    Allerdings schockierte, was er statt dessen erzählte, den Zuhörer viel mehr als das Geständnis einer schwachen
finanziellen Gesundheit, die der junge Mann nur allzugut hätte verstehen und billigen können. Georg nämlich, der Sohn Hainauts, sei nicht erschienen, weil er ein junges Mädchen aus den Hügeln von Herve geschwängert habe, dessen Familie ihm jetzt ans Leder wolle, woraufhin sein Vater ihn schnellstens nach Frankreich und in die Armee expediert, möglichst weit weg, Sie verstehen, bis die Situation zu einer gütlichen Eingung geführt sei. Die Heirat mit Amalia müsse daher noch mindestens ein Jahr warten. Pujol sah so verstört und betrübt aus, weil er beim Sprechen im Kopf mitrechnete, ob er dieses Jahr wohl überstehen werde.
    Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Alfons sich, nicht ohne Stolz, von der Fatalität des Lebens gestreift. Er sah die Kutsche seiner Existenz, von einem fremden Fuhrmann gesteuert, vor seiner Nase davonrollen und mußte nun diesem sich entfernenden Wagen, ohne zu zögern, hinterherstürzen, um zu retten, was zu retten war.
    Mehr verwirrt als freundlich und höflich, gelang es ihm, die Form zu wahren und sich zurückzuziehen, aber an Schlaf war nicht zu denken. Er verließ das Haus und eilte in einem bedenklichen Zustand, alle Sinnesorgane nach innen gekehrt, um die Revolution zu begreifen, die dort brodelte, zu einem Wirtshaus unten am Fluß, wo er sich, ohne einen Blick auf die anderen späten Besucher zu werfen, auf eine Eckbank fallen ließ und Bier bestellte.
    Erst jetzt fragte er sich, warum die Nachricht, Amalia sei einem anderen versprochen, ihn in derartige Panik versetzen konnte. Daß sie es kann, dachte er, heißt doch wohl, daß ich sie liebe, und indem er diesen Schluß zog, bemerkte er, daß er sie jetzt tatsächlich liebte. Aber selbst die Liebe rechtfertigte nicht das Entsetzen darüber, daß Pujol sie einem Bauernsohn vermählen wollte. Hatte er denn etwa vor, sie selbst zu heiraten? Nicht bis zu diesem Moment, nun aber stand die Frage groß und sperrig im Raum.

    Er verstand vage, eigentlich spürte er es eher, daß er zu irgendeiner Form von Reaktion und Aktivität aufgefordert war, da die Welt über seine Zwischenexistenz, seinen fröhlichen Wartestand einfach hinwegschritt. Offenbar wurden seine Zustände erst in dem Moment, da er sie benennen konnte, virulent. Der laut ausgesprochene Tastgedanke »Ich liebe sie« schuf eine unumstürzliche Tatsache.
    Ich habe Angst, um mein Glück gebracht zu werden, das ist es. Seltsam nur, daß erst diese Angst überhaupt das Bewußtsein von einem Glück erschaffen hat, an dem es mir nun plötzlich mangelt. Er war ein junger Adliger, der in den Brunnen der bürgerlichen Moral gefallen war. Und dann verstand er, was das eigentlich Neue und Verstörende an seiner Situation war: Sich seiner selbst bewußt geworden zu sein. Wer bin ich eigentlich? fragte er sich, als habe Pujols Erzählung den Schlußstein aus dem Gewölbe seines Lebens gerissen. Was will ich eigentlich in dieser Welt? Und antwortete sich: Glücklich sein! Dem entgegen stand im Moment die Erkenntnis, daß Dinge geschahen, die er nicht beherrschte, ja, von denen er nicht einmal wußte.
    Glücklich sein, das hieß Amalia besitzen, und Amalia besitzen hieß sie heiraten, und das war in jeglicher Hinsicht ein so unerhörter Gedanke, daß der schiere Wahnsinn, ihn zu denken, ganz zu schweigen von dem Gebirge an Unmöglichkeit, ihn zu realisieren, ihn als
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