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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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bin. Wäre das nicht eine Herausforderung an Ihre berühmte générosité ? Vor allem da die Dame angeblich unter ihren Lumpen eine Schönheit sein soll und Ihr idealistisches Streben nicht mit Ihrem Sinn für Ästhetik in Konflikt geraten müßte...«
    Nicht alle Informationen in diesem Brief entsprachen den Tatsachen, so lebte Amalia keineswegs in einer Strohhütte, sondern in einem zweistöckigen Haus mit Fenstern, einem Paar Kaminen, einem gepflegten Garten und litt auch keinen Mangel an Toilette, aber vermutlich hätte es sie nicht gestört, so gesehen zu werden, denn ein derartiger Zustand würde zum schlechten Gewissen der Welt ihr gegenüber beigetragen haben, das sie beständig einforderte.

    Zehn Jahre nach dem Tod Alfons’ war Amalia von Neuhoff eine schwarzgekleidete dreißigjährige Matrone, deren strenger Stolz ihr nicht gestattete, die Augen niederzuschlagen, um ihr den Anblick ihrer Holzschuhe im Kot der schlammigen Karrenwege zu ersparen, und deren Lippen so fest geschlossen waren wie die Tore einer belagerten Stadt, die geschworen hat, eher unterzugehen, als sich zu ergeben. Amalias Feind war das Leben, oder besser gesagt, die Umstände ihres Lebens. Die ignorierte sie verächtlich, und was sich nicht ignorieren ließ, dem gestand sie keine tiefere Wirklichkeit zu.
    Ihr Leugnen ging Hand in Hand mit einem Trotz und einer höheren Art von Beleidigtsein, die sich in einem königlichen Gang ausdrückten und sie mit einer subtilen Form von Blindheit schlugen, denn auch noch nach zehn Jahren in dem erbärmlichen Dorf, an dessen Rand sie mit ihren halbwaisen Kindern lebte, erkannte sie, hocherhobenen Hauptes an ihnen vorüberschreitend, kaum einen ihrer Nachbarn wieder.
    Zu dieser stolzen Leugnung der Welt gesellte sich der Wille, sie ihren Kindern untertan zu machen, wobei es nicht immer ganz klar war, ob sie mit der Welt, für die sie die zwei, vor allem aber ihren Sohn erzog, diejenige meinte, die hinter ihrem trotzigen Blick und ihrem vernähten Mund existieren mußte, oder die tatsächliche, durch die ihre schlammbespritzten Schuhe patschten.
    Die Jahre seit dem traurigen Abschied von Lüttich waren ein schwarzer, morastiger Alptraum, durch den sie, das Herz voller Angst, ihre Kinder an der Hand, gewatet war, ständig sich umwendend, wenn Lärm ihr ins Ohr stach, unablässig auf der Hut, alle lauernden Gefahren rechtzeitig vorauszufühlen, die Augen mit Elend füllend, bis sie geschwollen und schwarz waren wie die aufgetriebenen Leichen im Straßengraben, um den Blick der Kinder zu schützen vor allem, was ihn vergiften konnte.

    Die Wege waren nicht sicher. Räuber konnten den Sohn erschlagen, der Tochter und ihr selbst die Kleider vom Leib reißen und sie mißbrauchen. Marodierende Soldaten nahmen Frauen, wo sie sie fanden, bei der Einnahme von Städten, in requirierten Häusern, aus Spaß, aus Überdruß, sie kannte sie aus der Nähe. Ein Kapuzinerprediger mochte die Bauern aufhetzen, und schon liefen sie los in ihrer dumpf trunkenen, selbstgerechten Wut und verbrannten Juden und Sarazenen in ihren Häusern und Wagen.
    All die Schreie, die man hörte in einem Leben! Schreie der Sterbenden am Tag, Schreie der armen Seelen in der Nacht, im Schlaf, davor bewahrte keine Beichte und Lossprechung. Das Kreischen der Verbrennenden, das erbarmungswürdige Quieken der Erstochenen, das entsetzliche Röcheln der Pest- und Aussatz- und Auszehrungskranken, das viehische Brüllen, wenn ein zerquetschter Arm oder ein Bein abgesägt wurde. Die schwärenden Wunden, die fetten grünen Fliegen überall, die ihre Eier in eiterndes Fleisch legten, die baumelnden Gehenkten an den Kreuzwegen, ihre schwarzrot gedunsenen Körper, die eine Meile weit stanken, so süßlich. Die niedrigen, von Unschlittkerzen erhellten Bauernkaten und das Geblök der Schafe hinter der Bretterwand, an der die Strohsäcke lagen, damit die Menschen noch aus der Wärme der Tiere ihren Nutzen zogen, und der Bocksgestank in den fettigen Wollwämsern der schmutzverkrusteten Bauern und deren Brut mit ihren grindigen Augen, dem gallertigen Weiß ihres Blicks und dem debilen Kopfwackeln. Und nie war sie sich sicher, das Rechte zu tun. Der Priester zieh sie des Hochmuts und hatte recht, und um zu sühnen, strich sie Salbe auf den Grind der stinkenden Bauernkinder und betete mit ihnen. Auch ihrem Sohn hatte sie die Sünde des Hochmuts ins Herz gepflanzt, aber wie sollte er denn überleben ohne sie? Mücken und Bremsen und Gestank überall, und der
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