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Der Koenig geht tot

Der Koenig geht tot

Titel: Der Koenig geht tot
Autoren: Kathrin Heinrichs
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Grillwurst. Ich kletterte weiter, was das Zeug hielt. Osterfeld zielte gut. Die Gabeln donnerten die Paletten neben mir mit voller Wucht nach hinten. Wäre ich zwei Schritte langsamer gewesen, hätten sie mich erwischt. Ich stutzte einen Augenblick. Osterfeld setzte keineswegs ein zweites Mal den Stapler zurück. Ich blickte nach unten und ein Schauder überkam mich.
    Mein Verfolger kletterte am Gestell seines eigenen Fahrzeugs herauf. Kurz: Er war auf dem besten Wege zu mir. Sein Gesicht hatte etwas so Wildes, Entschlossenes an sich, daß ich wie verrückt weiterzuklettern begann. Osterfeld hatte inzwischen meine Höhe erreicht und schwang sich vom Fahrgestell ab auf die Regalböden. Er mußte durchtrainiert sein wie ein zwanzigjähriger Leichtathlet. Ich lief hinter den Kisten, die nicht den ganzen Regalboden belegten, sondern noch ganze zehn Zentimeter Platz ließen. Die Katastrophe sah ich einen Tick zu spät. Hinter dem nächsten Regalgestell war eine Wand eingezogen, die das Weiterlaufen verhinderte. Osterfeld war hinter mir etwas langsamer geworden. Ich weiß nicht, ob seine Kräfte nachließen oder ob er seinen Angriff auskosten wollte. Ich blickte nach unten. Ich konnte versuchen zu klettern, aber das war heikel. Die senkrechten Eisenstützen waren so sparsam wie möglich eingezogen worden. Springen war unmöglich. Aus dieser Höhe auf den Betonfußboden zu knallen konnte nicht schlimmer sein, als Johannes Osterfeld in die Hände zu geraten. Ich griff mir eine Kiste, die auf der Palette vor mir stand, und schleuderte sie auf Osterfeld zu. Der Chef blickte hoch und lächelte mich an.
    »Interesse an einer Detailführung?«
    »Danke, mir reicht, was ich bislang gesehen habe.«
    Osterfeld kam langsam näher.
    Ich schmiß die nächste Kiste. Sie traf den Gegner am Knie und mußte unter Fehlschlag verrechnet werden.
    »Sie sind zu neugierig, Herr Jakobs«, erklärte Osterfeld lächelnd. »Hätten Sie sich ganz einfach um Ihre Klassenarbeiten gekümmert, dann würden Sie sich jetzt sicherlich in angenehmerer Lage befinden. Haben nicht unlängst die Sommerferien angefangen? Warum treibt es Sie dann nicht wie den Großteil Ihrer Kollegen in die Toskana?«
    Adrenalinschübe mußten bei Johannes Osterfeld humorfördernde Wirkung haben. Wie anders war es zu erklären, daß dem Kerl hier in vier Metern Höhe nach Späßchen zumute war?
    »Ich ziehe es vor, zunächst das Sauerland zu erkunden«, spielte ich mit, um Zeit zu gewinnen. Die Sache mit dem Kistenschmeißen war nicht sehr effektvoll, aber leider fiel mir bislang nicht viel Besseres ein. Osterfeld machte sich daran, am Querträger auf mich zuzuklettern. Ich mußte ihn am Reden halten. Das verlangsamte sein Tempo ungemein.
    »Wie ich feststellen mußte, kann man auf hiesigen Volksfesten ja so allerlei erleben. Ehrlich gesagt, finde ich es etwas schockierend, daß ein Ehrenmann wie Sie in die Morde verwickelt ist.«
    »Ich habe mir an keiner Stelle die Finger schmutzig gemacht«, erklärte Osterfeld, schadenfroh lächelnd. »Gerhard Streiter war dumm genug, die Dinge weitgehend allein zu erledigen. Er mußte nur entsprechend angeleitet werden.« Der Kistenfabrikant lehnte sich genüßlich an die nächste Eisenstütze. Er hatte es tatsächlich nicht mehr eilig. Er war nicht der eiskalte Killer, der auf ein schnelles Ende aus war. Vielmehr erfreute er sich an meiner Angst, die ich nur schlecht überspielen konnte. Er hatte gewonnen, und diesen Sieg wollte er auskosten.
    »Sie haben recht«, begann ich wieder. »Streiter hat seinen Neffen umgebracht, wenngleich er es selbst gar nicht wollte.«
    »Vollkommen richtig!« ging Osterfeld auf mein Gequatsche ein. »Ich hatte unserem braven Schützenoberst zwar empfohlen, Wilfried König in seine Schranken zu weisen. Aber daß er ihm im Streit direkt eine Gehirnblutung beibringt, hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erhofft.«
    »Was war denn nun Ihr wahres Interesse an Königs Tod? Sie wollen mir ja nicht im Ernst erzählen, daß Sie um die Moral in der Schützentruppe besorgt waren. Was hat es mit Ihrer Firma in Döbern auf sich?«
    Osterfeld überlegte einen Augenblick. Wahrscheinlich bemerkte er, daß es zutiefst unprofessionell war, sich von mir aushorchen zu lassen. Dann lächelte er wieder und blickte mich mit seinen blauen Augen direkt an.
    »Eine klassische Situation, nicht wahr?« meinte er plötzlich. »Da stehen sich Täter und Opfer am Ende direkt gegenüber. Der Täter quatscht aus emotionaler Not
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