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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder
Autoren: P.J. Tracy
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dichte weiße Mähne… Himmel, sogar ich habe danach suchen müssen, und ich
    wusste, es war dort.»
    «Okay.» Gino nickte und ließ das Thema für einen Moment auf
    sich beruhen.
    Magozzi notierte sich, von den Leuten der Spurensicherung die
    Kleidungsstücke einsammeln zu lassen, die der Tote getragen hatte, als er erschossen wurde. «Fällt dir noch was ein, das uns hier helfen könnte?», fragte er.
    Marty lachte kurz, und es klang bitter. «Du meinst, wer ihn hätte erschießen wollen? Klar doch. Such nach jemandem, der Mutter
    Teresa umlegen würde. Er war ein guter Mensch, Magozzi.
    Vielleicht sogar ein großartiger.»
    Die Gewächshausluft war heiß und schwül, schwer vom
    modrigen Geruch feuchter Erde und üppiger Vegetation. Lange
    Tische, auf denen Pflanzen standen, bildeten zwei Reihen mit einem schmalen Mittelgang – so wie in allen Treibhäusern, in denen
    Magozzi jemals gewesen war. Bis auf den vordersten Tisch, auf dem sich statt eingetopfter Blumen eine Leiche im schwarzen Anzug
    befand.
    Selbst im Tod und aufgebahrt zur letzten Betrachtung gab Morey
    Gilbert noch eine stattliche Erscheinung ab. Sehr groß, sehr
    muskulös und besser gekleidet als Magozzi je in seinem Leben.
    Zwei junge Fahrradpolizisten hielten sich in der Nähe der Leiche
    auf und taten vor lauter Nervosität so, als sei sie gar nicht da.
    «Wo sind sie?», fragte Marty die Cops.
    «Ihre Schwiegermutter hat den alten Herrn mit nach dort hinten
    genommen.» Einer der beiden Polizisten nickte mit dem Kopf in
    Richtung einer Tür in der hinteren Wand.
    «Was befindet sich dort, Marty?», fragte Magozzi.
    «Der Schuppen, in dem eingetopft wird, und zwei weitere
    Gewächshäuser. Lily wollte Sol wahrscheinlich für eine Weile von
    hier wegbringen. Er war ziemlich aufgelöst.»
    «Sol?»
    «Er ist der Beerdigungsunternehmer, der die Polizei
    benachrichtigt hat, aber er war auch Moreys bester Freund. Das hier geht ihm an die Nieren. Einen Moment Geduld, ich hole die beiden.»
    Gino wartete, bis Marty außer Hörweite war. Dann flüsterte er
    Magozzi zu: «Ihr Mann ist tot, und sie tröstet den
    Beerdigungsunternehmer? Das ist doch reichlich verkehrte Welt,
    oder?»
    Magozzi zuckte die Achseln. «Vielleicht hält sie sich aufrecht,
    indem sie sich um andere Leute kümmert.»
    «Vielleicht. Oder vielleicht hatte sie nicht sonderlich viel für
    ihren Mann übrig.»
    Sie gingen hinüber zum vorderen Tisch, um sich den toten Mann
    näher anzusehen, bevor Frau und Freund zurückkehrten. Gino hob
    das weiße Haar mit einem Stift etwas an, um das Einschussloch
    sichtbar zu machen. «Winzig. Ich kann mir vorstellen, dass man es nicht bemerkt, wenn man halb blind ist, aber ich weiß es nicht.» Er blickte zu den Fahrradpolizisten. «Jungs, ihr könnt jetzt hier Schluss machen, wenn ihr wollt. Wir regeln das. Schickt Kopien eurer
    Berichte ans Morddezernat.»
    «Ja, Sir, und danke.»
    Magozzi betrachtete Morey Gilberts Gesicht und sah nicht mehr
    nur eine Leiche vor sich, sondern ein menschliches Wesen. Er baute auf diese Weise die Beziehung auf, die ihn stets mit den Opfern
    verband. «Er hat ein sympathisches Gesicht, Gino. Und mit
    vierundachtzig hat er immer noch sein eigenes Unternehmen geführt und seine Familie versorgt… Wer sollte einen alten Mann wie ihn
    umbringen wollen?»
    Jetzt zuckte Gino die Achseln. «Vielleicht eine alte Frau.»
    «Du bist doch nur sauer, weil sie die Leiche bewegt hat.»
    «Ich bin misstrauisch, weil sie die Leiche bewegt hat. Sauer bin ich, weil du mich gezwungen hast, in kurzen Hosen hierher zu
    kommen.»
    Sie traten beide einen Schritt vom Tisch zurück, als die Hintertür geöffnet wurde und Marty mit seinem geriatrischen Gefolge
    herauskam, das von einer sehr kleinen, aber drahtigen alten Frau
    angeführt wurde, die unter einer Latzhose in Kindergröße eine
    langärmelige weiße Bluse trug und deren dicke Brille die dunklen
    Augen so stark vergrößerte, dass sie ein wenig wie Yoda aussah.
    Ein zäher Yoda, fand Magozzi, als sie näher kam. Es gab kein
    Anzeichen dafür, dass sie geweint hatte, und ihre aufrechte Haltung und die geraden Schultern deuteten darauf, dass sie sich weder der Hoffnungslosigkeit noch dem Alter unterworfen hatte. Sie war
    weniger als eins sechzig groß und hatte wahrscheinlich auf ihrer
    Badezimmerwaage nie mehr als fünfundvierzig Kilo abgelesen, aber
    man hätte ihr glatt zugetraut, im Ernstfall Cleveland niederzuwalzen.
    Der ältere Mann, den sie im Schlepptau hatte, machte
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