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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder
Autoren: P.J. Tracy
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Pullman begegnet, seit er vor
    einem Jahr den Dienst quittiert hatte, ein paar Monate nach dem Tod seiner Frau. Nicht dass sie ihn besonders gut gekannt hatten, als sie noch alle dieselben Dienstmarken trugen. In Minneapolis arbeiteten Mordkommission und Drogenfahndung nicht so oft zusammen, wie
    man es im Fernsehen sieht. Es war nur so, dass man Marty so schnell nicht vergaß, wenn man ihn einmal gesehen hatte. Er besaß immer
    noch die Statur eines Ringers, die ihm in der High School den Weg zur State University geebnet hatte. Kurze O-Beine, gewaltiger
    Brustkorb und massige Arme. Dazu die dunklen Augen, die schon
    gequält in die Welt geblickt hatten, bevor die Qual über ihn
    gekommen war. Gorilla wurde er damals genannt, als er noch Sinn
    für Humor besaß, aber jene Tage waren längst vorüber.
    Die große Glastür des Gewächshauses öffnete sich, und Pullman
    kam ihnen entgegen.
    «Mann», flüsterte Gino. «Er sieht aus, als hätte er
    fünfundzwanzig Kilo abgenommen.»
    «War ein furchtbares Jahr für ihn», sagte Magozzi, und dann war
    Marty auch schon bei ihnen, gab ihnen die Hand. Sein
    Gesichtsausdruck war so sachlich wie immer.
    «Magozzi, Gino, freut mich, euch zu sehen.»
    «Verdammt, Pullman!» Gino schüttelte ihm die Hand. «Bist du
    Gärtner geworden oder etwa zu uns zurückgekommen, ohne dass mir
    jemand was davon gesagt hat?»
    Marty blähte die Wangen und atmete lange und zittrig aus. Er
    wirkte jetzt, als balancierte er am Rand eines Abgrunds. «Der Mann, der erschossen wurde, war mein Schwiegervater, Gino.»
    «Oh, Scheiße.» Gino machte ein langes Gesicht. «Er war
    Hannahs Dad? Oh, Mann, das tut mir leid. Scheiße.»
    «Vergiss es. Das konntest du nicht wissen. Hört mal, was die
    Tatortspuren betrifft, werdet ihr hier wohl kaum was Brauchbares
    finden.»
    Magozzi bemerkte das Beben in seiner Stimme und beschloss,
    mit Beileidsbekundungen zu warten, bis der Mann gefasst genug
    war, um sie annehmen zu können. «Haben wir schon gehört», sagte
    er und zog einen Notizblock und einen Stift hervor. «War außer dir und dem Beerdigungsunternehmer heute Morgen sonst noch jemand
    hier?»
    «Zwei von den Angestellten – ich habe sie nach Hause geschickt,
    ihnen aber aufgetragen, sich zur Verfügung zu halten, weil ihr sie heute noch befragen würdet. Ich habe die Stelle, an der Lily nach ihrer Aussage Morey gefunden hat, mit meinem Wagen abgeblockt,
    mehr konnte ich nicht tun.»
    «Wir wissen das zu schätzen, Marty», sagte Magozzi. Er
    wünschte sich, diese Situation so schnell wie möglich hinter sich bringen zu können. Lily Gilbert hatte im vergangenen Jahr ihre
    Tochter verloren und nun ihren Mann. Magozzi konnte sich nicht
    vorstellen, wie man mit einer zweifachen Tragödie dieser Art fertig wurde, und ihr die Fragen zu stellen, die er stellen musste, kam ihm plötzlich grausam vor. «Glaubst du, dass deine Schwiegermutter in der Lage ist, mit uns zu sprechen?»
    Marty gelang ein leises Lächeln. «Sie hat nicht völlig die Fassung verloren, wenn du das meinst. Das würde Lily nie passieren.» Er
    warf einen Blick hinüber zum größten Gewächshaus. «Sie ist da
    drinnen. Ich habe versucht, sie zu bewegen, ins Haus zu gehen, das sich weiter hinten auf dem Grundstück, noch hinter den Treibhäusern befindet – aber das wird sie erst tun, wenn Morey weggebracht ist.
    Der Leichenbeschauer ist unterwegs, oder?»
    Magozzi nickte. «Er wird eine Voruntersuchung an Ort und
    Stelle machen, bevor man die Leiche fortbringt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du sie dabeihaben möchtest.»
    «Um Himmels willen, nein. Aber Lily wird sein, wo Lily sein
    will. So ist sie eben.» Er sog zwischen den Zähnen Luft ein. «Da ist noch etwas.»
    Magozzi und Gino warteten schweigend.
    «Nachdem sie ihn reingebracht hatte, hat sie ihn gewaschen. Und
    rasiert. Und umgezogen. Er liegt da drinnen in seinem
    Beerdigungsanzug auf einem der Tische.»
    Gino schloss ganz kurz die Augen und versuchte, nicht die
    Beherrschung zu verlieren. «Das ist aber gar nicht gut, Marty.»
    «Wem sagst du das?»
    «Ich meine, ihr Schwiegersohn war ein Cop. Sie musste doch
    wissen, dass sie Beweise vernichtet.»
    «Verflucht, sie ist fast blind, Gino. Bekommt noch nicht mal
    mehr einen Führerschein. Sie sagt, sie hat absolut kein Blut gesehen.
    Ich nehme an, der Regen hat es fortgeschwemmt, bevor sie nach
    draußen kam. Es hat ihn in den Kopf getroffen, kleines Kaliber
    direkt hinter der linken Schläfe, und er hat doch diese
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