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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder
Autoren: P.J. Tracy
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Fehler. Das Böse sollte auch böse aussehen. Dann lässt du es nämlich nicht herein.
    Besonders du solltest wissen, dass es so einfach nicht ist.
    Genau so einfach ist es aber.
    Lily holte Luft und ging in die Hocke – eine jugendliche
    Körperhaltung für eine so alte Frau, aber ihre Knie waren gesund, noch immer stark und gelenkig. Es gelang ihr nicht, Moreys Lider
    ganz zu schließen. Einen Spalt breit blieben sie offen und ließen ihn bedrohlich aussehen. Seit sehr langer Zeit bekam Lily es zum ersten Mal wieder mit der Angst zu tun. Sie vermied es, seine Augen
    anzuschauen, als sie das dunkle Silberhaar zurückstrich, das der
    Regen auf seinen Schädel gekleistert hatte.
    Einer ihrer Finger glitt in ein Loch seitlich an seinem Kopf, und sie erstarrte. «Oh, nein», flüsterte sie. Dann erhob sie sich hastig und wischte sich die Finger an ihrem Overall ab.
    «Ich habe es dir gesagt, Morey», schalt sie ihren Mann ein letztes Mal. «Ich habe es dir gesagt.»

    KAPITEL 2

    In Minnesota war der April immer unberechenbar, aber ungefähr alle zehn Jahre zeigte er sich ausgesprochen sadistisch und wechselte
    ungezügelt zwischen verlockendem Frühlingsversprechen und den
    letzten zornigen Todeszuckungen eines widerspenstigen Winters, der nicht die geringste Neigung zu einem leisen Abschied verspürte.
    Genau so ein Jahr war es gewesen. In der vergangenen Woche
    war ein unglaublicher Schneesturm über den wärmsten April seit
    Menschengedenken hereingebrochen, hatte die knospenden Bäume
    zu Tode erschreckt und im ganzen Staat heftige Diskussionen über
    einen Massenexodus nach Florida ausgelöst.
    Aber der Frühling hatte letztlich doch die Oberhand gewonnen,
    war bemüht, alle Welt mit sich zu versöhnen, und machte das
    verdammt gut. Die Quecksilbersäule stieg auf 25 Grad, die vom
    Schnee eingeschüchterte Flora hatte sich aufgerafft, geradezu
    schamlos neongrün zu explodieren, und was am besten war: Die
    Streitmacht der Stechmücken lauerte noch in Larvenform in den
    Seen und Sümpfen. Freudetrunkene und sonnenhungrige Einwohner
    von Minnesota tummelten sich scharenweise im Freien und gaben
    sich zeitweilig dem Irrglauben hin, ihr Staat sei tatsächlich
    bewohnbar.
    Auf seiner vorderen Veranda lag Detective Leo Magozzi
    ausgestreckt auf einer altersschwachen Liege, die Sonntagszeitung in der einen Hand, einen Becher Kaffee in der anderen. Er hatte den
    Schneesturm der letzten Woche noch nicht vergessen und er war
    Realist genug, um zu wissen, dass es noch nicht zu spät für ein
    weiteres Unwetter war. Dennoch gestattete er seinem Zynismus
    nicht, einen makellos schönen Tag zu ruinieren. Außerdem bot sich die seltene Gelegenheit, der Faulheit zu frönen, nach der es ihn
    immer verlangt hatte – wenn Detectives der Mordkommission
    Urlaub machen wollten, mussten sie sich nach den Urlaubszeiten der Mörder richten, und Mörder schienen die am härtesten arbeitenden
    Mitmenschen zu sein. Aber aus einem unerklärlichen Grund durfte
    sich Minneapolis der seit Jahren längsten Zeitspanne ohne Mordfälle erfreuen. Wie sein Partner Gino Rolseth es so treffend formuliert hatte: Mord war tot. In den vergangenen Monaten hatten sie nichts anderes zu tun gehabt, als ungeklärte Fälle zu bearbeiten, und sollten sie je alle lösen, würden sie wieder Streife fahren, Transvestiten filzen und sich wünschen, lieber Zahnarzt als Polizist geworden zu sein.
    Magozzi schlürfte seinen Kaffee und beobachtete die
    Masochisten aus der Nachbarschaft, die sich Torturen aller Art
    hingaben und schnaufend und schwitzend wie besessen gegen eine
    Klimazeitrechnung anrannten, die sie schon in ein paar Monaten
    wieder in ihre vier Wände verbannen würde. Sie joggten, sie
    skateten, sie liefen mit ihren Hunden und feierten jeden einzelnen Grad Temperaturanstieg, indem sie ein weiteres Kleidungsstück
    ablegten.
    Das war eine der Eigenschaften, die Magozzi an den Bürgern
    Minnesotas am meisten liebte. Ob dick, dünn, muskulös oder
    schwammig – wenn es warm wurde, kannten die Menschen in
    diesem Staat keine Hemmungen mehr, und an einem so schönen Tag
    wie diesem liefen die meisten halb nackt umher. Natürlich war das nicht immer gut, gewiss nicht im Fall von Jim, seinem extrem
    behaarten direkten Nachbarn. Man konnte nie mit Sicherheit sagen, ob Jim ein Hemd trug oder nicht. Er war auch jetzt im Freien,
    vielleicht ohne, vielleicht aber auch mit Hemd. Er arbeitete hart daran, die Blumenbeete so herzurichten, dass ihm die Pole Position
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