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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch
Autoren: Martin Suter
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stieg ihm wieder der Duft seiner Jugend in die Nase. Und der Jugend Ulagus, die so früh beendet worden war.
    Er tat etwas, das er sonst noch nie getan hatte: Er steckte sich eines der Chapatis in den Mund, schloss die Augen und gab sich ganz dem Geschmack hin, der sich zwischen Zunge und Gaumen entfaltete.
    Andrea, die missmutig bei der Tür stand und auf das Glockenzeichen wartete, hatte ihn beobachtet. »Ich dachte, die seien abgezählt?«
    Maravan öffnete die Augen, kaute, schluckte und antwortete: »Sie werden reichen.«
    Das Glöckchen ertönte vom ersten Stock, Andrea nahm die Chapatis und trug sie die Treppe hinauf.
    Als sie in die Küche zurückkam, stand die leere Cocktailschale auf dem Tablett. »Er will noch so einen.«
    Maravan mixte einen Zweiten.
     
    Dalmann kam noch in den Genuss der Urd-Linsen-Cordons in zwei Konsistenzen und der gefrorenen Safran-Mandel-Espuma und ihrer Safran-Texturen. Dann kam Makeda unter lautem Tempelglockengebimmel die Treppe heruntergerannt.
    »Er stirbt«, sagte sie und rannte wieder hinauf. Maravan und Andrea folgten ihr.
    Dalmann lag in den indischen Kissen und Tüchern. Seine rechte Hand war auf der Brust verkrampft. Sein weißes Gesicht glänzte nass im Kerzenschein. Er hatte die Augen angstvoll aufgerissen und schnappte nach Luft.
    Makeda, Andrea und Maravan blieben in etwas Distanz stehen und beobachteten die Szene. Niemand machte Anstalten, näher zu treten, jeder hing seinen Gedanken nach.
    Dalmann schien etwas sagen zu wollen, aber sein Ringen um Luft und Leben hinderte ihn daran. Manchmal schien er aufzugeben, schloss die Augen, atmete kaum. Dann bäumte er sich wieder auf und kämpfte weiter.
    »Man sollte jemanden anrufen«, sagte Andrea.
    »Ja, sollte man«, pflichtete Makeda bei.
    »144«, ergänzte Maravan.
    Aber keiner der drei rührte sich vom Fleck.
     
    Als der Notdienst eintraf, waren Andrea und Maravan gegangen und hatten alles mitgenommen, was mit
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in Zusammenhang gebracht werden konnte. Makeda hatte die 144 angerufen und die Ambulanz erwartet.
    Der Notarzt konnte nur noch den Tod des Patienten feststellen. Die Obduktion ergab, dass der Stent, der dem Patienten vor acht Monaten nach einem ersten Infarkt eingesetzt worden war, trotz Kardioaspirin und Plavix zugeronnen war. Nach Meinung des Hausarztes, Dr. Hottinger, war dieser schlechte Verlauf auf den fortdauernd unvernünftigen Lebenswandel des Verstorbenen zurückzuführen.
    Die Aussage der äthiopisch-britischen Staatsbürgerin Makeda F., die an diesem Abend für den Verstorbenen gekocht hatte, bestätigte diese Aussage. Genauso wie der Blutalkoholgehalt.
    Hermann Schaeffer organisierte ein angemessenes Begräbnis für Eric Dalmann, dem etwas weniger Trauergäste beiwohnten als erwartet. Und er sorgte für einen schönen Nachruf im
Freitag.
    Die übrigen Medien begnügten sich mit einer Kurzmeldung. Immerhin blieb bis zur Stunde auch der Name Palucron und Dalmanns Verbindung zu dieser Firma unerwähnt.
     
    Auf Scilly Island blühen die Narzissen schon im November. Und jetzt, im April, standen sie immer noch in kleinen Grüppchen im Gras, das mehr einem englischen Rasen glich.
    Andrea und Makeda hatten sich für zwei Wochen in einem Bed and Breakfast eingemietet. Jeden Tag spazierten sie auf einem schmalen Weg die Küste entlang, vor der sich die Felsen in der Brandung suhlten wie träge Urtiere.
    »Willst du wissen, weshalb ich Dalmann nicht geholfen habe?«, fragte Andrea unvermittelt. Sie hatten das Thema bisher so weit wie möglich gemieden.
    »Du wolltest, dass er stirbt.«
    Andrea nickte. »Ich war so eifersüchtig.«
    Makeda legte den Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich heran.
    Eine kurze Strecke gingen sie auf diese Weise weiter, bis der Weg zu schmal wurde und sie sich voneinander lösen mussten. Andrea ging voraus.
    Plötzlich sagte Makedas Stimme hinter ihr: »Er sollte sich zu Tode vögeln.«
    Andrea blieb stehen und drehte sich um. »Ich dachte, er konnte nicht mehr?«
    »Ich wollte ihm ein Erektionsmittel unterjubeln.«
    »Wie das?«
    »Ich hatte Maravan gebeten, es ihm ins Essen zu tun.« Andrea sah sie mit großen Augen an. »Ihr wolltet ihn umbringen?«
    Makeda nickte. »Stellvertretend für alle anderen wie er.«
    Andrea setzte sich ins weiche Gras am Wegrand. Ihr blasses Gesicht war noch blasser geworden. »Bestimmt hat das Zeug seinen Herzinfarkt ausgelöst.«
    Makeda setzte sich neben sie und lächelte. »Bestimmt nicht. Maravan hat es nicht ins Essen
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