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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch
Autoren: Martin Suter
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aber Maravan war zu unruhig, um zu Bett zu gehen. Er schaltete den Computer ein und begann, die Webseiten des Bürgerkrieges abzurufen.
    Die LTTE hatte einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen. Der sri-lankische Verteidigungsminister nannte dies »einen Witz«. »Sie sollen sich ergeben«, sagte er. »Sie kämpfen nicht mit uns, sie rennen vor uns weg.«
    Die Website des Verteidigungsministeriums hatte einen »Final Countdown« aufgeschaltet, dem man entnehmen konnte, wie viele Quadratkilometer den Befreiungstigern noch blieben. Und den Tausenden von Flüchtlingen dicht bei ihnen. Es waren keine dreißig.
    Eine der regierungsfreundlichen Seiten hatte als Beweis dafür, dass die LTTE entgegen ihrer Zusage noch immer Kindersoldaten rekrutierte, ein Foto veröffentlicht. Im satten Grün der Monsunvegetation standen zwei Soldaten. Sie trugen Tarnanzüge, hatten Sturmgewehre umgehängt und blickten teilnahmslos in die Kamera. Im Hintergrund bildeten Palmen und Bananenstauden eine dichte Wand. Mitten durch sie hindurch verlief eine Schneise. Panzerketten hatten den weichen Boden aufgepflügt.
    Zu Füßen der Soldaten lehnten an einem umgekippten Baumstamm die Leichen von vier Knaben. Die Köpfe waren ihnen auf die Schultern gefallen, als wären sie eingenickt. Sie trugen Kampfanzüge in einem etwas anderen Muster als die Soldaten.
    Maravan vergrößerte das Bild. Er stöhnte laut auf. Einer der vier war Ulagu.
     
    Maravan verbrachte den Rest der Nacht vor dem Hausaltar, betend, meditierend und dösend. Um halb fünf setzte er sich vor den Monitor und wählte die Nummer des Ladens in Jaffna. Dort war es jetzt acht Uhr, er hatte geöffnet.
    Immer wieder kam die Meldung, dass alle Leitungen besetzt seien und er es später wieder versuchen solle. Nach einer halben Stunde meldete sich der Ladenbesitzer.
    Maravan bat ihn, nach seiner Schwester Ragini zu schicken. Er musste ihm für die nächste Geldsendung fünftausend Rupien Trinkgeld versprechen, bis er einwilligte. In zwei Stunden solle er wieder anrufen.
    Es waren quälende zwei Stunden. Immer wieder sah er Ulagu vor sich. Als erschrockenes kleines Bübchen, das immer etwas Zeit brauchte, um zutraulich zu werden. Als ernsthaften Knaben, der nie spielen, nie herumalbern, aber alles über das Kochen wissen wollte. Er hatte Ulagu nur lachen sehen, wenn ihm beim Vorbereiten oder Kochen etwas Schwieriges gelungen war. Oder wenn er etwas kostete und es so schmeckte, wie es sollte.
    Er hatte noch kein Kind getroffen, das so klein schon wusste, was es werden wollte. Und so überzeugt davon war, es eines Tages auch zu werden.
     
    Genau nach zwei Stunden rief er wieder an. Der Ladenbesitzer meldete sich und verband ihn sofort mit seiner Schwester. »Ragini?«
    »Ja«, sagte sie mit dumpfer Stimme. »Ragini«, schluchzte er. »Maravan«, schluchzte sie.
    Sie weinten gemeinsam in achttausend Kilometer Distanz, begleitet vom statischen Gesang des weltweiten Netzes.
     

46
    Andrea hatte Makeda am Abend noch eingeholt und überredet, wieder zurückzukommen. Maravan war schon weg gewesen, und sie hatten sich versöhnt. Aber bereits heute Morgen hatten sie sich wieder ein wenig gestritten.
    Andrea hatte Frühstück ins Bett gebracht und, als es so richtig gemütlich wurde, gesagt: »Der Name Dalmann ist von jetzt an tabu, okay?«
    Makeda lächelte und antwortete: »Nicht ganz einfach, er will ein
Love Menu.«
    Andrea sah sie entgeistert an.
    »Bei ihm zu Hause. Mit mir.«
    »Du hast ihm hoffentlich gesagt, dass das überhaupt nicht in Frage kommt.«
    »Nein, das habe ich nicht. Das läuft über Kuli, das weißt du.«
    »Dann werde
ich
es Kuli sagen.« Andrea hatte ihr angebissenes Croissant auf den Teller gelegt und die Arme verschränkt.
    Makeda aß ruhig weiter. »Das wird er nicht so einfach hinnehmen, Dalmann ist ein wichtiger Kunde, sagt er. Ein wichtiger Vermittler von Kunden.«
    »Und ich bin eine wichtige Lieferantin.«
    Makeda legte den Arm um sie. »Ach, komm, Kleines, sei nicht so unprofessionell. Er wird es nicht schaffen, daran ändern auch Maravans Künste nichts.«
    »Aber er wird es versuchen«, schmollte Andrea.
    »Hoffentlich«, sagte Makeda entschlossen.
    »Und was versprichst du dir davon?«
    »Dass er dabei abkratzt«, antwortete sie finster.
    Andrea sah ihre Freundin erschrocken an. Makeda lachte und gab ihr einen Kuss.
    In diesem Moment klingelte es an der Wohnungstür.
    »Ich erwarte niemanden.« Andrea machte keine Anstalten aufzustehen.
    Es klingelte wieder.
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