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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb
Autoren: Thomas O'Callaghan
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dreiundfünfzig Kilo und war eins zweiundsechzig groß. Meine Nicole hatte vier Kilo mehr auf den Rippen und war acht Zentimeter größer. Wir haben es also mit einem zierlichen Opfer zu tun. Es muss ihm leichtgefallen sein, sie zu überwältigen. Womöglich ist die arme Frau ja auch vor Angst umgekommen, bevor er sie abgeschlachtet hat. Man kann es eigentlich nur hoffen.«
    Driscoll griff nach einem hölzernen Zeigestab und wies mit ihm auf das rote Fähnchen im Prospect Park.
    »Ich habe bei diesem Mord ein ganz übles Gefühl«, sagte er. »Und zwar habe ich das Gefühl, dass wir es gerade erst mit Opfer Nummer eins zu tun haben. Wir müssen
irgendwie ins Gehirn dieses irren Mörders eindringen. Was treibt ihn an? Was bringt ihn dazu, ein derart grauenhaftes Verbrechen zu begehen? Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel darin, zu begreifen, was ihm die Knochen bedeuten. Er hat einen triftigen Grund dafür, sie mitzunehmen, und es ist unsere Aufgabe, herauszufinden, worin dieser Grund besteht.«

8. KAPITEL
    Der Regen, der seit drei Tagen auf die Stadt niederprasselte, hatte endlich aufgehört. Driscoll manövrierte den Chevy in einen freien Parkplatz vor dem Videoverleih, wo Deirdre McCabe zuletzt lebend gesehen worden war. Der »Blick zurück«, wie er es nannte, erschien ihm surreal, und die momentane Beschaulichkeit des Tatorts widerstrebte ihm. Der Ort wirkte wie ein x-beliebiges Stück Amerika, nicht wie ein Ort, an dem Dämonen ihr Unwesen trieben. Er dachte an Bensonhurst in Brooklyn und das Straßenstück, das als Anliegerstraße zum westwärts führenden Belt Parkway diente. Genau auf diesem Straßenstück hatte David Berkowitz, besser bekannt als »Son of Sam«, seine letzte blutige Attacke auf ein nichts ahnendes Pärchen gestartet, das sein Auto an einer Stelle geparkt hatte, die den beiden ideal für ein romantisches Treffen erschien. Gab es irgendwelche Anzeichen dafür, welch grauenhafte Tat dort geschehen war? Nein. Der Blick zurück zeigte erneut die Verkörperung einer ruhigen, wie für ein ungestörtes Stelldichein gemachten Seitenstraße und die Gelassenheit, mit der das Leben darum herum weiterging.

    Driscoll stieg aus dem Streifenwagen, um die Gegend genauer unter die Lupe zu nehmen, die Gegend, die die Spurensicherung bereits abgesucht hatte, ohne handfeste Beweise zu finden. Er zählte acht parkende Autos und einen Geländewagen, einen Ford Bronco. In keinem Fahrzeug saß jemand. Die Stelle, wo Deirdre McCabe ihren Volvo geparkt hatte, war jetzt leer. Sie lag gut zehn Meter vom Videoladen entfernt. Hatte der Mörder in der Dunkelheit gewartet? Deirdre beobachtet? Wenn ja, von wo aus? Hatte das Opfer den Angreifer gekannt? War es ein in Gewalt umgeschlagenes Rendezvous gewesen? Nichts deutete darauf hin, dass sich hier ein Mord oder eine Entführung ereignet hatte. Doch angesichts der Tatsache, dass der Volvo hier entdeckt worden war, hatte die Entführung höchstwahrscheinlich auf dem Parkplatz stattgefunden.
    Mit welchem Köder hatte er sie zu seinem Fahrzeug gelockt? Der Serienmörder Ted Bundy hatte mehrmals einen falschen Gipsarm getragen und so getan, als bekäme er ein Paket nicht in seinen Volkswagen. Immer wieder kamen ihm seine potenziellen Opfer zu Hilfe und luden das sperrige Teil für ihn ein. Oder hatte die McCabe den Mörder im Laden getroffen und war freiwillig mit zu seinem Fahrzeug gegangen? Vielleicht hatte er sie ja auch einfach so überwältigt, eine arglose, zierliche Frau, die nur auf einen Sprung in einen Laden gegangen war? Auf jeden Fall musste der Killer ein eigenes Auto haben.
    Mit mehr Fragen als Antworten betrat Driscoll den Laden.
    »Hi! Willkommen bei Video-Rama«, begrüßte ihn eine fröhliche Stimme. »Kann ich Ihnen bei der Auswahl helfen?« Die Angestellte, ein junges Mädchen im HighSchool-Alter
mit honigblondem Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, hatte sanfte blaue Augen, die zwinkerten, wenn sie sprach.
    »Ich bin Detective Driscoll«, stellte sich der Lieutenant vor. »Ich würde gern die Geschäftsführerin Ms. Clairborne sprechen.«
    »Tut mir leid, aber Ms. Clairborne macht Spätschicht. Sie kommt erst in einer Viertelstunde.«
    Driscoll sah auf die Uhr. Es war Viertel vor sechs. Würde er sich eben die Zeit damit vertreiben, sich die Videos in den Regalen anzusehen.
    Unter der Werbung für Coca-Cola und Mikrowellenpopcorn standen an den Wänden zahllose Regale voller Neuerscheinungen, während die Mitte des Ladens den
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