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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb
Autoren: Thomas O'Callaghan
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Haut einfach mit den Fingern abziehe?« Vater hielt inne und sah Mutter an. »Evelyn, wo ist das verdammte Mehl?«
    »Rebecca, hol das Pillsbury-Päckchen aus der Küche und bring es her«, befahl Mutter.
    Becky huschte mit hüpfendem Pferdeschwanz die Treppe hinauf. Bei ihrer Rückkehr hielt sie eine Pfundpackung feines Konditormehl in der Hand.
    »Schaut her, Kinder. Ich streue das Mehl auf die Haut des Vogels. Es saugt die Feuchtigkeit auf.«
    Eine zweite Übelkeitswelle stieg in mir hoch. Ich sah Becky an. Ihr Gesicht war aschfahl, ihre Augen halb geschlossen.
    »Und jetzt trenne ich dem Vieh mit einer gebogenen Chirurgenschere die Beine ab. Da. Schon sind sie ab. Dann kann man den restlichen Vogel besser häuten. Seht her. Was hab ich euch gesagt? Schaut nur, wie leicht die Haut abgeht. Okay, wer kann mir sagen, was als Nächstes kommt?«
    »Der Kopf kommt ab«, murmelte ich.
    »Genau. Ich schnipple ihm mit einem Ausbeinmesser den Kopf ab. Wir legen den Kopf beiseite und bearbeiten ihn nachher. Zuerst muss ich mit diesem Drahtschneider ein Loch in den Nacken bohren. So. Okay, und jetzt kommt der Kopf dran. Verdammt noch mal, Evelyn, wo ist das Borax?«
    »Rebecca, schau unter die Spüle.«
    Erneut hastete Becky die Treppe hinauf, kehrte mit der Boraxpackung zurück und reichte sie Vater.

    »Moment, lass das Borax mal beiseite. Das geht ja ganz leicht raus. Warum soll ich mir mein nächstes Frühstück ruinieren?«
    Er hielt den Kopf des Fasans in der Hand und schabte mit einem Löffel das Vogelhirn heraus, um es anschließend mit einem klatschenden Geräusch in eine Tupperschüssel fallen zu lassen.
    »Das ist für mein Rührei«, sagte er und reichte Mutter die Schüssel.
    »Colm, das kommt in den Kühlschrank oben«, erklärte Mutter.
    Ich raste die Treppe hinauf und stellte die Schüssel in den Kühlschrank. Eine dritte Übelkeitswelle überspülte mich. Ich lief zur Toilette im hinteren Teil des Hauses.
    »Was brauchst du denn so lang?«, bellte Vater, worauf ich wie angewurzelt stehen blieb.
    »Ich komm ja schon, Dad«, stammelte ich, während ich die Treppe hinunterhastete und mich an den Tisch setzte. Becky und ich riskierten einen weiteren Klaps von Mutter, indem wir die Augen schlossen, denn wir wussten, was als Nächstes kam.
    Glücklicherweise schwieg Mutter, als Vater nach dem Kugelausstecher griff und dem Fasan mit einem Blick in dessen dunkle Pupillen beide Augen ausriss.
    »Colm, leg mir zwei von der Nummer zwölf bereit. Und es müssen braune sein.«
    »Ja, Sir«, erwiderte ich.
    Meine Aufgabe war es, die Schachtel zu holen, in der die Glasaugen lagen, das gewünschte Paar herauszusuchen und es Vater zu bringen. Ich marschierte zu dem Metallregal an der Rückwand des zweiten Kellers, zog die Schachtel aus Wellpappe herunter und nahm den Deckel
ab. Unmengen künstlicher Augen starrten mich an, und wie immer erschauerte ich.
    »Wo bleiben denn die Augen, Colm?«
    Von ganz oben auf dem Kellerregal kam ein Schrei, der mir Angstschauer über den Rücken jagte. Dann hörte man irgendetwas rascheln.
    »Bugler, was war das?«, fragte Mutter aufgeregt.
    »Daddy, wir haben Ratten!«, wimmerte Becky, während sich ihre braunen Augen mit Tränen füllten.
    »Das ist keine Ratte«, sagte Vater grinsend.
    Ein zweiter Schrei, noch markerschütternder als der erste, brachte mich völlig aus der Fassung. Die Schachtel fiel mir aus den Händen, worauf die Achataugen in alle Richtungen davonschossen. Die Miene meines Vaters veränderte sich. Seine Kiefermuskulatur wurde starr, und auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte.
    »Jetzt schau nur, was du angerichtet hast!«
    Er stand auf. Mein Herz raste.
    Sein Gesicht sprach von Krieg. Er stieß einen Schrei aus, archaisch wie das Geheul eines keltischen Kriegers.
    Starr vor Schreck sahen meine Schwester und ich zu. Ich wusste, dass mein Leben an einem seidenen Faden hing. Er konnte mich mit seinen brutalen Händen erwürgen oder mich verschonen.
    Er zertrat die verstreuten Augen unter dem Absatz seines Wanderstiefels und hielt sein verzerrtes Gesicht vor meines. »Ich könnte dich auslöschen, Sohn«, zischte er. »Und weder die Sonne noch den Mond noch die Sterne würde es groß kümmern.«
     
    Das Jaulen einer Sirene holte Colm in die Gegenwart zurück. Eine Obdachlose mit einem Einkaufswagen von
Key Food war mit einem Volvo kollidiert und hatte dessen Alarmanlage ausgelöst.
    Blitzschnell konzentrierte er sich auf die anstehende Aufgabe. Am Spätnachmittag war
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