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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens
Autoren: Jojo Moyes
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hatten, und er weinte trotzdem um den Alten.«
    Laura schwieg und beobachtete alles. Derek stand jetzt viel zu dicht neben Matt, war offensichtlich bemüht, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Sein Blick huschte kurz zu ihr hin, und da wusste sie auf einmal, was er ihrem Mann beizubringen versuchte. Ihre Welt fiel auseinander wie die Spalten einer Orange. Sie blinzelte heftig, versuchte sich einzureden, dass es am schwachen Licht lag und an ihrem alkoholisierten Zustand. Doch dann beugte sich Derek zu Matt hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Matts Züge verhärteten sich. »Was? Was?! «, brach es aus ihm hervor. In der lauen, duftenden Abendluft stehend, wusste sie auf einmal, dass der Vikar recht hatte.
    Der alte Mann war sich tatsächlich bis zuletzt treu geblieben. Selbst über den Tod hinaus, wie es den Anschein hatte.

DREI
    E s ist schwer, Geige zu spielen, wenn man gleichzeitig weint. Die Tränen sammeln sich aufgrund der Kopfneigung zunächst in der Vertiefung zwischen Tränenkanal und Nasenwurzel, dann rinnen sie übers Gesicht oder, noch schlimmer, tropfen auf die Geige, wo sie natürlich sofort weggewischt werden müssen, bevor sie das kostbare Holz oder den Lack beschädigen.
    Isabel unterbrach sich und holte ein großes weißes Taschentuch hervor, mit dem sie die winzigen Tröpfchen abwischte. Heulen und Spielen. Das eine sollte vom anderen tunlichst getrennt werden. Aber nur wenn sie spielte, konnte sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen, nur wenn sie spielte, musste sie kein tapferes Gesicht aufsetzen, musste nicht Mutter oder Schwiegertochter sein, kompetenter Haushaltsvorstand oder, Gott bewahre, »tapfere junge Witwe«.
    »Mum.« Kitty rief schon eine Zeit lang nach ihr. Sie hatte die Stimme ihrer Tochter ausgeblendet, hatte sich nicht die letzten Takte von Mahlers Fünfter verderben lassen wollen, war noch nicht bereit, sich wieder der Realität zu stellen. Aber Kittys Stimme klang jetzt gereizt und ungehalten. »Mum!«
    Wenn sie sich nicht konzentrieren konnte, konnte sie nicht richtig spielen. Sie nahm die Geige aus ihrer Halsbeuge und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Dann rief sie mit betont munterer Stimme nach unten: »Was ist?«
    »Mr Cartwright ist da.«
    Cartwright … Cartwright … Sie legte ihr Instrument in den Geigenkasten und verließ zögernd die Mansarde. Der
Name war ihr nicht geläufig, aber vielleicht kannte sie ihn trotzdem. Als Laurent noch lebte, hatte sie sich nie so viele Namen merken müssen.
    »Ich komme«, rief sie und stieg die Treppe hinunter.
    Cartwright. Mr Cartwright. Das klang nach etwas Geschäftlichem. Kein Nachbar. Keiner von Laurents Freunden, von denen noch immer gelegentlich welche auftauchten und ihrem Entsetzen Ausdruck gaben, wenn sie es gerade erst erfuhren. Sie saßen dann auf dem Sofa und wollten getröstet werden, ganz so, als wäre sie jetzt irgendwie für die Gefühle der anderen verantwortlich.
    Keiner von ihren Freunden. Zu den meisten hatte sie seit ihrem Ausscheiden aus dem Orchester den Kontakt verloren.
    Cartwright. Sie schaute ins Wohnzimmer. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr der Mann im dunkelgrauen Anzug vage bekannt vorkam. Er war auf der Beerdigung gewesen. Sie versuchte sich zu sammeln, warf einen Blick zur Küche, wo Kitty gerade Tee aufsetzte. »Kann Mary das denn nicht machen?«
    »Heute ist ihr freier Nachmittag; ich hab’s dir doch schon gesagt.«
    »Ach so.« Sie vergaß in letzter Zeit öfters etwas. Ihre Tochter brachte Mr Cartwright den Tee. Dieser kämpfte sich mühsam aus dem modisch niedrigen Sofa und bot Kitty seine Hand. Mit seiner etwas steifen Art und den blitzblanken Schuhen wirkte er in dem unordentlichen Wohnzimmer irgendwie fehl am Platz. Sie versuchte, den Raum mit seinen Augen, den Augen des Besuchers, zu betrachten: Auf den Tischen häuften sich Bücher und Zeitschriften. Auf einer Sofalehne hatte jemand eine Halloweenmaske liegen gelassen, auf der anderen lag ein Haufen Wäsche. Isabel sah, dass einer ihrer Slips daraus hervorschaute und zwischen den Kissen zu verschwinden drohte. Thierry saß versunken vor dem Fernseher.
    »Mrs Delancey, ich hoffe, ich komme nicht ungelegen …«
    »Ach nein.« Sie winkte gespielt großzügig ab. »Wie nett, Sie zu sehen. Ich war nur … gerade oben.«
    Kitty lümmelte sich mit untergeschlagenen Beinen in den roten Damastsessel, dessen Überzug schon so zerschlissen war, dass an bestimmten Stellen das graue Futter hervorkam. Isabel sah, wie sie es verstohlen
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